Liebe Kolleginnen und Kollegen,
soeben hat uns als Gewerkschafter/Innen-Arbeitskreis (AK) der 4. ordentliche NEWSLETTER 2023 des Kollegen Harald Thomé (http://ak-gewerkschafter.com/?s=harald+thom%C3%A9) erreicht.
(Foto: Regine Blazevic)
Wir haben diesen NEWSLETTER zu Eurer gefälligen Kenntnisnahme und Bedienung auf unsere Homepage gepostet und in den Kategorien „HARTZ IV“ (http://ak-gewerkschafter.com/category/hartz-iv/) und „SOZIALPOLITIK“ (http://ak-gewerkschafter.com/category/sozialpolitik/) archiviert.
Für den AK Manni Engelhardt -Koordinator-
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Thomé Newsletter 04/2023 vom 29.01.2023
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,
mein heutiger Newsletter zu folgenden Themen:
1. Rechtsfehler im Bürgergeld mit Korrekturbedarf
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Beim intensiven Arbeiten kommt man auf einiges. So haben sich inzwischen Bürgergeld einige Rechtsfehler gefunden. Das ein oder andere wurde schlichtweg übersehen. Hier wäre es hilfreich, wenn „die Politik“ einfach mal die Liste nähme und ein kurzfristiges Korrekturgesetz veranlassen würde. Zusätzlich hätte Tacheles auch eine Reihe weiterer sinnvoller und notwendiger Veränderungsvorschläge.
a. Wegfall der Pflicht zur postalischen Erreichbarkeit bis zum 20. Juni 2023
Die Pflicht zur postalischen Erreichbarkeit ist bis 30. Juni 2023, nicht (zwingend) erforderlich. Dies begründet sich über einen Rechtsfehler, nach dem durch die Streichung des § 77 Abs. 1 SGB II die Erreichbarkeitsverordnung des SGB III nicht mehr gilt und eine neue erst zum 1. Juli 2023 wirksam werden kann.
Das bedeutet nicht, dass Leistungsberechtigte nicht mehr für Schreiben des Jobcenters erreichbar sein müssen. Die postalische Erreichbarkeit ist zwar weiter im Rahmen der Mitwirkungspflichten notwendig, aber bis Juli 2023 nicht mehr anspruchsbegründend.
In der Praxis bedeutet ist, dass Menschen wegen fehlender postalischer Erreichbarkeit nicht mehr Leistungen versagt werden dürfen. Das wird von zentraler Bedeutung für wohnungslose und obdachlose Menschen sein.
b. Regelungslücke für Einkünfte aus Ferienjobs
Bis 31. Dez. 2022 waren Einkünfte von Schülerinnen und Schülern, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet und Einkommen in den Schulferien erzielt haben, bis 2.400 € brutto kalenderjährlich anrechnungsfrei (§ 1 Abs. 4 ALG II-V). Durch Streichung der Regelung in der Alg II-V/jetzt Bürgergeld-V und noch nicht in Krafttreten der Neuregelung in § 11a Abs. 7 SGB II – N, gültig ab 1.7.2023, gelten Einkünfte aus Ferienjobs, insofern sie bis 30. Juni 2023 zufließen, wie normales Erwerbseinkommen und sind mit 100 € Grundfreibetrag + 20 % Erwerbstätigenfreibetrag (§ 11b Abs. 2 S. 1 SGB II, § 11b Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB II) zu bereinigen.
c. Regelungslücken bei der Anrechnung von Einkünften aus Jugendfreiwilligendienst oder Bundesfreiwilligendienst
Bis zum 30.6.2023 ist das Taschengeld für Absolvierende des „Freiwilligen Sozialen Jahrs“ und für sogenannte „Bufdis“ in Höhe von 250 € anrechnungsfrei (§ 11b Abs. 2 Satz 6 SGB II). Dies gilt für Unter- und Über-25-Jährige. Bei etwaig höheren Beträgen ist zusätzlich der Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b Abs. 3 SGB II in Abzug zu bringen. Der Erwerbstätigenfreibetrag wird von dem Betrag an errechnet, der 100 EUR übersteigt (§ 11b Abs. 3 S. 2 Nr. 1 SGB II).
Ab dem 1. Juli 2023 ist bei Unter-25-Jährigen zunächst der erhöhte Grundabsetzbetrag von 520 € bei Einkünften aus Bundes- bzw. Jugendfreiwilligendienst abzuziehen (§ 11b Abs. 2 S. 1 SGB II – N).
Allerdings gibt es bei Über-25-Jährigen überhaupt keinen erhöhten Grundfreibetrag. Weder die oben genannten 520 EUR, noch die 250 EUR Freibetrag, die vorher galten, sondern nur den gleichen wie bei regulärer Arbeit. Es bleiben also nur 100 € Grundfreibetrag anrechnungsfrei + 20 % Erwerbstätigenfreibetrag bis 520 € brutto, ab 520 € brutto + 30 % (§ 11b Abs. 3 S. 2 Nr. 1, Nr. 2 SGB II – N). Im SGB XII gilt ab 1.1.2023 weiter ein Freibetrag von 250 € (§ 82 Abs. 2 Satz 2 SGB XII).
d. Geldgeschenke an Minderjährige anlässlich Firmung, Kommunion, Konfirmation sowie Jugendweihe oder vergleichbarer religiöser Feste
Bis 31.12.2022 geltende Rechtslage war: soweit die Geldgeschenke den in § 12 Abs. 2 S.1 Nr.1a des SGB II genannten Schonvermögensbetrag nicht überschreiten, das waren 3.100 EUR, sind diese Geldgeschenke anrechnungsfrei. Auf diesen Schonvermögensbetrag wird im neuen Recht in § 1 Abs. 1 Nr. 12 Bürgergeld-V wieder verwiesen. Nur gibt es ihn dort nicht mehr. Das Schonvermögen ist jetzt in § 12 Abs. 2 SGB II geregelt. In der Praxis bedeutet dies, dass rechtstheoretisch Geldgeschenke anlässlich der genannten Gründe in jedweder Höhe anrechnungsfrei sind.
Kurzbewertung: hier wurde vonseiten des Gesetzgebers einiges verpasst und es muss nachgebessert werden. Von der BA ist zu erwarten, dass sie klar und deutlich publiziert, dass die postalische Erreichbarkeitspflicht weggefallen ist. Vielleicht nutzen sie und das BMAS auch mal die Gelegenheit, diese unsinnige, die leistungsbeziehenden Menschen drangsalierende, Regelung endlich mal abzuschaffen. Beim Taschengeld für den Bundes- und Jugendfreiwilligendienst müssen schnellstens Korrekturen auf den Tisch, denn dieser ist ein wichtiges Instrument auch für über 25-Jährige.
2. Energiehilfekampagne / Weiterhin: Aufforderung zum Mitmachen
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Vorab die Info: die Homepage wurde auf die Rechtsänderungen zum 1.1.2023, rund um das Bürgergeldgesetz, angepasst. Die bundesweite Aufklärungs- und Unterstützungskampagne für Betroffene hoher Energiekosten www.energie-hilfe.orgwurde im Nov. 2022 gestartet. In der Zeit wurden bundesweit fast 140.000 Flugblätter und Tausende von Plakaten verschickt und verteilt. Die letzten 10.000 Flyer und 2.000 Plakate können noch bei uns abgerufen werden.
Zu diesem Thema gibt es auch eine richtig positive und eine negative Meldung: ins Bürgergeldgesetz ist eingeflossen „wird ein SGB-II-Antrag für einen einzelnen Monat für die Übernahme von Nachzahlung von Heizkosten (nicht Betriebskosten) oder Aufwendungen der „angemessenen“ Beschaffung von Heizmitteln gestellt, wirkt dieser Antrag, wenn er bis zum Ablauf des dritten Monats nach dem Fälligkeitsmonat gestellt wird, auf den Ersten des Fälligkeitsmonats zurück“. Das gilt nur für Anträge, die ab 2023 gestellt werden (§ 37 Abs. 2 S. 3 SGB II). Hier hat die energie-hilfe-Kampagne konkrete Wirkung gezeigt.
Diese Nachwirkungsregelung gilt aber nicht für das SGB XII. Hier werden die alten, kranken und behinderten Menschen wieder einmal komplett alleingelassen und diskriminiert.
Mitmachen!
Ihr/Sie könnt und sollt bei der Kampagne mitmachen. Bitte werbt in Euren/Ihren Strukturen und Organisationen dafür! Wenn viele darüber informieren, gewinnt sie weitere Tiefe.
Die Kampagne baut darauf auf, dass Infomaterial in Beratungsstellen, Stadtteilzentren, Gewerkschaftsbüros, Jugendzentren, Kindergärten, Kneipen, Kinos, Unis, Stadtbibliotheken ausgelegt und aufgehängt werden soll. Diese Verteilung müsst Ihr/Sie in euren Kommunen, Strukturen oder Einrichtungen organisieren. Diese Materialien versenden wir kostenfrei.
Daher liebe Leute: Material ist genug da, bestellt und verteilt. Hier geht es direkt zur Seite mit den Materialien und zur Bestellung: https://www.energie-hilfe.org/infomaterial.html
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3. Die Widerspruchs- und Klagezahlen der BA zum SGB II
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Die BA veröffentlicht jedes Jahr am 10. Januar die aktuellen Zahlen zu Widersprüchen und Klagen im SGB II (BA-Presseinfo Nr. 3 v. 10.1.2023, Download: https://t1p.de/ojbd3). Diese und die dazugehörige Jahresstatistik habe ich mir mal näher angeschaut.
Im Jahr 2022 wurden in Bezug auf das SGB II 403.856 Widersprüche und 50.883 Klagen sowie 13.666 Eilklagen bei den 302 Jobcentern in gemeinsamer Einrichtung eingereicht. Das waren 9.733 Widersprüche bzw. 10.489 Klagen weniger als 2021. Die Detailzahlen sind der Jahresübersicht zu übernehmen: https://t1p.de/7pld6
In 133.400 Fällen hatten die Widersprüche Erfolg, das ist eine Erfolgsquote von 33 Prozent. Den 50.883 eingereichten Klagen wurde zu rund 35 Prozent ganz oder teilweise stattgegeben (BA-Presseinfo Nr. 3 v. 10.1.2023). Natürlich sind die Erfolge im Klageverfahren zur Gesamterfolgsquote hinzurechnen, was die BA in ihrer Statistik leider nicht macht.
Diese Zahlen beziehen sich im Übrigen nur auf die Jobcenter in gemeinsamer Einrichtung. Also wie bereits geschrieben auf 302 Jobcenter. Diese Zahlen müssten also noch um die Zahlen der 102 kommunalen Jobcenter ergänzt werden. Die absoluten Zahlen dürften sich schätzungsweise um ca. ein Drittel gegenüber den in der BA-Pressemitteilung genannten Zahlen erhöhen.
Die „Erfolgsquote“ ist in der Realität noch viel höher, da in dieser Statistik nur die „Erfolge“ bei Widersprüchen und Klagen verzeichnet sind. Über den Erfolg von Überprüfungsanträgen nach § 44 SGB X gibt es keine Statistik. Aus der Beratungspraxis im Tacheles ist festzuhalten, dass rund die Hälfte der von Tacheles eingelegten Rechtsmittel Überprüfungsanträge sind. Davon wird dem allergrößten Teil, ca. 90 Prozent, abgeholfen. Das bedeutet: zu den im Jahr 2022 rund 403.856 Widersprüchen, die es in den Jobcentern in gemeinsamer Einrichtung gegeben hat, von denen alleine 33 Prozent erfolgreich waren und zzgl. der zunächst nicht erfolgreichen Widersprüche, die dann im Klageverfahren doch erfolgreich waren, gesellen sich noch eine annähernd vergleichbare Anzahl an Überprüfungsanträgen, mit einer vermutlich ähnlich hohen Erfolgsquote.
Damit wird klar, dass der tatsächliche Erfolg von Rechtsmitteln erheblich höher ist, als es auf den ersten Blick erscheint und in der Statistik der BA auftaucht.
Anmerkung: beliebtes Mittel, um Widerspruchsquoten zu senken, ist erstmal, die Widerspruchsführenden anzuschreiben und ihnen mitzuteilen, dass beabsichtigt ist, den Widerspruch abzulehnen und sie doch deshalb bitte den Widerspruch zurücknehmen sollten. Gerne wendet auch das Jobcenter Wuppertal dieses Verfahren an. Behörden sind verpflichtet, die Wahrheit mitzuteilen, über Rechte aufzuklären und aktiv zu beraten, damit hat diese rechtsbeugende Verwaltungspraxis rein gar nichts zu tun.
4. Kinderzuschlagslotse
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Die BA hat einen ganz vernünftigen Kinderzuschlag-Lotsen erstellt, der sogar auf andere Sozialleistungen verweist. Angesichts der komplizierten Berechnung des KiZ jedenfalls ein empfehlenswertes Tool, um einen möglichen Anspruch zu testen.
Auf der Seite der Familienkasse besteht auch die Möglichkeit, KiZ online zu beantragen. Auch wenn man da die Unterschrift möglichst schnell hinterherschicken muss, gibt es schon mal eine Eingangsbestätigung. https://www.arbeitsagentur.de/familie-und-kinder/kinderzuschlag-verstehen/kiz-lotse
5. Europäischer Gerichtshof zu Leiharbeit: Schlechtes Zeugnis für Gewerkschaften
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Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass Leiharbeiter per Tarif zwar schlechter bezahlt werden dürfen, aber einen Ausgleich bekommen müssen. Damit wären die aktuellen Tarifverträge rechtswidrig. Das ist eine Ohrfeige auch für die Gewerkschaften und auch für den DGB.
Mehr dazu: https://t1p.de/rjph5
6. Formlosigkeit im Verwaltungsverfahren am Beispiel des Jobcenters Hagen
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In meinem Newsletter 49/2022 vom 11.12.2022 unter Nr. 6 habe ich die Verwaltungspraxis des Jobcenters Hagen, keinen Mailkontakt mehr führen zu wollen, offengelegt und dem Jobcenter Rechtsbeugung vorgeworfen und entsprechende Mails veröffentlicht, Download hier: https://t1p.de/itdy6 und die Mitteilung vom JC Hagen gibt es https://t1p.de/s9pwd
Dieser Vorgang hat schon für einige Aufregung und medialen Widerhall gesorgt. Das Jobcenter Hagen wolle dafür in Zukunft eine Bürgergeldberatung mit entsprechenden Terminen anbieten, so das JC Hagen gegenüber DerWesten vom 23.12.2022 (https://t1p.de/vjg21).
Substanziell hat sich das Jobcenter Hagen zu dem Vorwurf bisher nicht geäußert. Es möchte gerne allen Schriftverkehr über Jobcenterdigital abwickeln. Einige Leistungsbeziehende bekommen es aber gerade einmal hin, eine Mail zu schreiben und kennen sich darüber hinaus nicht mit der Technik aus. Das Gesetz ist hier eindeutig. Es bestimmt die Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens, solange nicht in dem jeweiligen Gesetz anderes vorgeschrieben ist (§ 9 SGB X). Da im SGB II nicht die Verwendung von Jobcenter Digital vorgeschrieben ist, ist die Hagener Verwaltungspraxis Rechtsbeugung.
Hier ist die Fachaufsicht gefragt (BA-Zentrale, das BMAS), aber auch die örtliche Wohlfahrtspflege. Auch wenn von dieser gute Kontakte zum Jobcenter bestehen, sollte hier deutlich Kritik geäußert werden. Ansonsten könnte aus Protest gegen die rechtswidrige Verwaltungspraxis dazu aufgerufen werden, alle Mails dann eben an den Hagener Oberbürgermeister Herrn Schulz mit der freundlichen Bitte zur Weiterleitung zu schicken. Die Stadt Hagen, somit auch ihr OB ist Teil des Jobcenters Hagen als sog. gemeinsame Einrichtung und Entgegennahme- und Weiterleitungspflichtig.
7. Rechtssprechungsübersichten von RA Uwe Klerks aus dem SGB II aus 2021 und 2022
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Der Mitautor des Leitfadens Ra Uwe Klerks hat diese beiden verlinkten Jahresübersichten aus Gesetzgebung und Rechtsprechung zum SGB II aus 2021 und 2022 dankenswerterweise zur Veröffentlichung freigegeben. Denke für die Beratungspraxis sind sie sehr hilfreich, weil sehr fundiert.
Hier der Link zur 2021 Übersicht: https://t1p.de/3x4hn
Hier der Link zur 2022 Übersicht: https://t1p.de/lfpuy