Will die EU trotz des griechischen Nachgebens Rache?

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

heute erreicht uns als Gewerkschafter/Innen-Arbeitskreis (AK) zur Situation Griechenland und des Griechischen Volkes nachstehende Mitteilung des Kollegen Fred Maintz unter den Titeln: „EU will Rache trotz griechischen Nachgebens“ und “Griechenland: Deutschland (Schäuble) nimmt Bruch der EU in Kauf“. Diese Mitteilung haben wir nachstehend zu Eurer gefälligen Kenntnisnahme auf unsere Homepage gepostet.

Für den AK Manni Engelhardt –Koordinator-

Fred Maintz hat das Wort:
„Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
anbei die laufend aktualisierte Debatte (mit immer neuen Updates) innerhalb
der EU: vor allem Schäuble als Verhandlungspartner der deutschen Regierung
nimmt mit seinem aktuellen (14.15 Uhr) stockreaktionären Zuchtmeisterpapier
(„Positionspapier“) zur Durchsetzung seiner Haltung auch einen Bruch der EU
in Kauf:

http://www.neues-deutschland.de/artikel/977585.luxemburg-warnt-schaeuble-vor-spaltung-europas.html

Griechenland: Wahnsinn, Verzweiflung, Wut über die EU

Tsipras gibt aus (absolut berechtigter!) Angst vor dem schockartigen
brutalen Grexit-Schnitt größtenteils nach und der EU (insbesondere
Schäuble) reicht es immer noch nicht.
Ernüchterndes Fazit: beim nächsten Antritt einer linken Regierung (z.B.
Spanien?) bitte PRONTO (Vermögens- und Einkommen-) Steuereintreibungen und
vor allem für Vermögende „schockartige“ Kapitalverkehrskontrollen
einführen, um sich die monatelangen Erpressungen durch milliardenschweren
Abzug der Kohle vom Inland auf ausländische (z.B. schweizerische) Konten
nicht mehr gefallen zu lassen !

Alles Andere macht anscheinend für Linke an der Regierung eines EU-Landes
überhaupt keinen Sinn mehr 🙁

Anbei zur aktuellen brutalen EU-Ablehnung des griechischen Nachgebens ein
guter Bericht des ehemaligen Wirtschaftsministers von Baden-Württemberg:

Wer links wählt, wird bestraft
Von Gastautor Dieter Spöri
Datum: 08.07.2015
Die Griechen sollen für ihr „Oxi“ büßen. Die Botschaft eines
revanchelüsternen Parteienkartells lautet: Neue linke Protestbewegungen
scheitern mangels Kompetenz, Linke sind einfach Loser. Unser Autor
kritisiert auch das Tsipras-Bashing von Sigmar Gabriel.

Mit dem Referendum haben die Griechen ein klares Signal gesetzt: Schluss
mit der endlosen ruinösen neoliberalen Sparideologie. Allen Drohungen und
von außen geschürten Ängsten zum Trotz. Aber damit ist noch nichts
gewonnen, denn der Kampf des regierenden Parteienkartells in der EU gegen
den von Ministerpräsident Alexis Tsipras verlangten Kurswechsel wird jetzt
noch härter werden.

Die Mehrheit der politischen Funktionselite in Europa schäumt vor Wut und
mit ihr die breite Front der Mainstream-Medien. Diese verstehen sich heute
überwiegend als politische Akteure und Komplizen der Politik. Man hat dabei
den Eindruck, dass Athen trotz einer auch von der griechischen Opposition
unterstützten neuen Verhandlungsinitiative unbedingt aus dem Euro gedrängt
werden soll. In zahlreichen Talkshows, Interviews und Sondersendungen
dominiert ein rabiater Druck, „den Griechen“ als Strafe für das Nein den
Finanzhahn der EZB völlig abzudrehen. Ein Paradebeispiel ist der
ARD-Korrespondent Wolf Dieter Krause in Brüssel, der, wie viele andere,
nicht mehr nur berichtet, sondern in Nachrichtensendungen polemisiert und
wie ein Derwisch in Diskussionsrunden gegen die griechische Regierung
ausfällig wird. Dieser deformierte Journalismus ist sich einig: Die älteste
Demokratie der Geschichte soll jetzt für ihr unbotmäßiges „Oxi“ büßen!
Tsipras ist für das EU-Establishment ein knallrotes Tuch

Tsipras ist zwar für Millionen in Europa ein charismatischer
Hoffnungsträger, aber für das Gros des politischen Establishments in der EU
ein knallrotes Tuch *–* einfach weil er in der Gremienmühle Europas nicht
all das aufgegeben hat, was er vor den Wahlen versprochen hatte: eine
andere Politik! Diese Ungeheuerlichkeit, an einer anderen Politik
festzuhalten und nicht, wie alle Vorgängerregierungen, nach den Wahlen
geschmeidig einzuknicken, war die Hauptursache für die aggressive
politische und mediale Hetzjagd. Die Jagd auf einen manchmal auch
ungeschickten Idealisten, der sich die provozierende „Naivität“ eines
politischen Traums bewahrt hat. Wer in dem europäischen Machtkartell wäre
eigentlich bereit, sein Amt aus Loyalität zu seiner politischen Botschaft
durch einen ergebnisoffenen Volksentscheid nur sechs Monate nach
erfolgreichen Parlamentswahlen zur Disposition zu stellen? Das ist der
psychologische Hintergrund des unglaublichen Furors gegen das griechische
Referendum.
[image: „Schluss mit dem Totsparen“, steht auf der kleinen Flagge.]
<http://www.kontextwochenzeitung.de/fileadmin/content/kontext_wochenzeitung/dateien/223/Oxi_MST_2_.JPG>
„Schluss mit dem Totsparen“, steht auf der kleinen Flagge.

Wenn jetzt Chaos und noch größere Not von revanchelüsternen Syriza-Gegnern
ganz offen herbeigeredet wird, dann ist das nicht nur unüberlegte
Emotionalität, sondern strategisches Kalkül. Die rasende Wut über den
„David“ Tsipras, der den Austeritätskurs der Europa-Queen Angela Merkel
durchkreuzt, ist das eine, die Furcht vor der Ansteckung mit dem
griechischen Virus das andere: Ein Verhandlungserfolg von Tsipras *–* etwa
ein Schuldenschnitt und ein Stimmungsaufschwung in Griechenland *–* könnte
bei den anstehenden Wahlen in Spanien im Herbst dazu führen, dass Mariano
Rajoy, der Lieblingseleve von Merkel, durch den jungen Pablo Iglesias von
der Protestbewegung Podemos aus dem Sattel gehoben wird.

Die Botschaft des etablierten Parteienkartells in Europa ist deshalb klar:
Wer die neuen linken Protestbewegungen in Südeuropa wie Syriza oder Podemos
wählt, wird durch noch größere ökonomische und soziale Rückschläge
bestraft. Iglesias wird wie Tsipras im Drahtverhau der EU-Institutionen
durch den Widerstand der „ewigen“ Koalition aus Konservativen,
Christdemokraten, Sozialdemokraten und oft auch Liberalen stecken bleiben.
Denn in Wahrheit geht es in der EU um einen zähen Abwehrkampf der
neoliberalen Ideologie gegen neue linke Bewegungen wie in Griechenland,
Spanien und Portugal, sprich um den Machterhalt des traditionellen
europäischen Parteienkartells.
Linke Strömungen sollen im Verhandlungsmarathon scheitern

Deshalb muss am Beispiel Griechenlands symbolhaft deutlich gemacht werden,
dass die neuen linken Strömungen in der EU nicht nur konzeptionell unfähig,
sondern auch machtpolitisch isoliert sind. Zusätzlich soll vermittelt
werden, dass hier idealistische Charismatiker mit ihren Visionen von mehr
sozialer Gerechtigkeit die Prozesse professioneller Regierungskunst nicht
beherrschen und in ihrem Dilettantismus mit einer falschen „politischen
DNA“ einfach scheitern müssen. Der monatelange Verhandlungsmarathon in der
Eurogruppe über eine zusätzliche griechische Finanzhilfe von 7,2 Milliarden
Euro war nichts anderes als eine dramaturgisch raffiniert genutzte Bühne,
um eine einfache Botschaft zu vermitteln: Linke sind Loser.

An der Spitze Deutschland, die europäische Führungsmacht, mit dem
routinierten und sarkastischen Wolfgang Schäuble vorneweg und den folgsamen
Mitgliedstaaten hinterher. Sie setzten Athen durch eine ständige Erpressung
in der Eurogruppe unter Druck: Entweder ihr setzt unter Bruch eures
Wahlprogramms einen nachweislich prozyklischen Rezessionskurs mit uns
gemeinsam fort und bekommt Hilfszahlungen, oder ihr seid nicht mehr dabei
und geht bankrott. Eine offen perfide Erpressung.

Tsipras und sein (inzwischen zurückgetretener) Finanzminister Yannis
Varoufakis versuchten, durch ihre wachstumsorientierte
Konsolidierungsstrategie aus dieser Schlinge einer verstärkten Rezession
und politischen Unglaubwürdigkeit zu schlüpfen, und konnten deshalb
zahlreiche verlangte sogenannte Reformen nicht akzeptieren. Dafür wurden
sie wie verstockte oder trotzige Halbstarke behandelt, die einfach nicht
die geforderte Reformliste liefern, die im EU-Sprech als „Gegenleistung“
geliefert werden muss, bevor Geld fließt. Diese Strategie der Erpressung
mit einem nicht hinterfragten, deformierten Reformbegriff ging voll auf:
Die zwei griechischen „Spitzbuben“ lieferten trotz angeblich größter Geduld
und guten Zuredens, insbesondere der bekanntlich immer gutwilligen Angela
Merkel, nicht die gewünschte Liste und wurden deshalb kollektiv in der
europäischen Presse verrissen.

In Wahrheit kappte die Kanzlerin auch die letzten Vermittlungsversuche der
EU-Kommission und des französischen Staatspräsidenten François Hollande.
Tsipras und Varoufakis hätten in dieser zugespitzten Situation fast das
gesamte letzte Angebot der Geldgeber *–* allerdings nur unter der Prämisse
einer verbindlichen Perspektive für einen Schuldenschnitt *–* geschluckt.
Dieser allerletzte Einigungsversuch wurde von der Bundesregierung wieder
als Wackelkurs und Unzuverlässigkeit verhöhnt, und Tsipras musste die
Verzweiflungsaktion, ein Ja im Referendum doch noch empfehlen zu können,
abbrechen.
An der Spitze einer grotesken Kampagne: Sigmar Gabriel

Dazu kam eine groteske deutsche Kampagne in Politik und Medien, die Tsipras
unterstellten, niemals ernsthaft verhandeln zu wollen. Das Referendum mit
einem Nein sei sein politisches Ziel gewesen. An der Spitze der Bewegung
der sozialdemokratische Vizekanzler Sigmar Gabriel, der sich zu dem Vorwurf
hinreißen ließ, man könne den Deutschen nicht die Finanzierung der
unseriösen Wahlversprechen einer kommunistisch beeinflussten Syriza
zumuten. Im Bemühen, auch noch die Hardliner der Union zu übertreffen, warf
er der griechischen Regierung vor, dass sie „politisch, man kann sagen,
ideologisch eine andere Eurozone“ wolle. Das hieße absurderweise, dass eine
wirklich konsequent keynesianische Ausrichtung der Krisenpolitik in der
Eurozone bereits eine politisch suspekte Systemveränderung ist. Sigmar
Gabriel betonte zwar immer wieder, dass er das Votum des Referendums
respektiere. Am Abend des Referendums aber krönte der SPD-Parteivorsitzende
die wütenden Attacken der europäischen Führungsmacht Deutschland auf
Tsipras mit der These, der griechische Ministerpräsident habe „alle Brücken
abgebrochen“ und sein Volk in eine Perspektive der „Hoffnungslosigkeit“
geführt. Wenn diese Scharfmacherei nicht so traurig wäre, könnte man sich
den burlesken Bezug nicht verkneifen, dass diese Hoffnungslosigkeit eher zu
dem bundesweiten Umfragetrend der SPD passt.
[image: 61,31 Prozent der Griechen stimmten gegen die neuen Sparauflagen.]
<http://www.kontextwochenzeitung.de/fileadmin/content/kontext_wochenzeitung/dateien/223/Oxi_MST_3_.JPG>
61,31 Prozent der Griechen stimmten gegen die neuen Sparauflagen.

Ganz anders dagegen das Gros renommierter US-Ökonomen: vorneweg der
Nobelpreisträger Paul Krugman, der seit Jahren den von Berlin
durchgesetzten Austeritätskurs in der Eurozone als kontraproduktiv
analysiert. James Galbraith sagte sogar, beim Referendum mit Nein zu
stimmen sei für Griechenland die einzige Chance, im Euro zu bleiben. Selbst
David Kelly von J. P. Morgan, übrigens keine kommunistische
Tarnorganisation, hält die gesamte Krisenpolitik Europas weitgehend für
verfehlt. Und der renommierte Nobelpreisträger Josef Stiglitz warnt schon
lange davor, dass der von Berlin durchgesetzte einseitige Sparkurs
Griechenland und die ganze Eurozone destabilisiert.

Finanzminister Yannis Varoufakis wurde zum Buhmann, weil er nicht damit
aufhörte, diese Kritik der US-Ökonomen in der Runde der makroökonomisch
teilweise überforderten Kollegenschaft vorzutragen. Er wurde dort zur
Unperson, weil Wolfgang Schäuble mit der gesamten Eurogruppe die schlichte
Wahrheit nicht mehr hören wollte, dass Griechenland *–* übrigens vom IWF
längst belegt *–* ohne Schuldenschnitt nie mehr wirtschaftlich und
finanziell auf die Beine kommen würde und die mühselig zusammengestupfelten
Hilfsprogramme nur kontraproduktive Selbstbeschäftigung sind, die die
griechische Abwärtsspirale fortsetzen.
Die Griechen sind einfach undankbar

Aber warum funktioniert die Propaganda für den ruinösen Krisenkurs Berlins
dennoch wie geschmiert? Der deutsche Publizist Georg Dietz hat zu Recht auf
die psychologische Dimension des Bündnisses von politischem Establishment
und Mainstream-Medien hingewiesen. Dieses Bündnis reduziert die Finanzkrise
in Euroland auf die Fiktion, dass Merkel und Schäuble durch die Programme
Griechenland bisher „gerettet“ haben. Die Wahrheit aber ist, dass in
Griechenland und anderswo primär die Banken gerettet wurden. Wenn einmal
der Begriff „Rettungspaket“ für Griechenland in der Debatte etabliert ist,
werden automatisch die „Retter“ mit edlen Motiven aktiv, während die
„undankbaren“ Empfänger des „Rettungspakets“ die gütige Hand der geduldigen
Spender ausschlagen.

Vorläufiges Fazit: Durch die Verluderung der politischen Debatte und hohle
Parolen wie „Die müssen ihre Hausaufgaben machen“ wird von der ökonomisch
völlig berechtigten Kritik abgelenkt, dass der Berliner Brüning-Kurs in
Griechenland die Wirtschaft weitgehend zerstört, die Verschuldung
dramatisch erhöht und die Jugendarbeitslosigkeit auf 50 Prozent gesteigert
hat. An diesen Fakten dürfte eigentlich auch ein Sigmar Gabriel nicht
vorbeikommen.

*Dieter Spöri war SPD-Wirtschaftsminister in Baden-Württemberg. Er ist
Ehrenpräsident der Europäischen Bewegung Deutschland, arbeitet heute als
Publizist in Berlin und ist einer der Herausgeber des Blogs der Republik
<http://www.blog-der-republik.de/>.*“

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