Kollege Fred Maintz informiert und weist u. a. auf eine ARD-SENDUNG über krasse Jobcenter-Schikanen hin!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

soeben erreicht uns als Gewerkschafter/Innen-Arbeitskreis (AK) eine hochinteressante Mitteilung des Kollegen Fred Maintz (http://www.ak-gewerkschafter.de/?s=fred+maintz). Darin weist Fred u.a. auf eine ARD-Sendung über krasse Jobcenter-Schikanen hin.

Wir haben die komplette Mitteilung nachstehend zu Eurer gefälligen Kenntnisnahme auf unsere Homepage gepostet und in den Kategorien „HARTZ IV“ (http://www.ak-gewerkschafter.de/category/hartz-iv/) und „SOZIALPOLITIK“ (http://www.ak-gewerkschafter.de/category/sozialpolitik/) archiviert.

Für den AK Manni Engelhardt -Koordinator-

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Kollege Fred Maintz informiert:
 
 
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
 

wenn Fernseh-Berichte über gruselige überlebensbedrohliche Schikanen erfreulich sind:

genau: Jobcenter+Hartz 4. Allmählicher Sinneswandel bei einigen Medien? ARD-Panorama-Sendung vorgestern um 21.45 Uhr mit dem Titel „Fragwürdige Strafen: Wie das Jobcenter Hartz4-Bezieher schikaniert“

https://www.daserste.de/information/wirtschaft-boerse/plusminus/sendung/strafen-fuer-hartz-vier-bezieher-100.html

Mit kollegialen Grüßen

Fred Maintz

Fragwürdige Strafen: Wie das Jobcenter Hartz-IV-Bezieher schikaniert

Jobcenter wegen Sanktionspraxis in der Kritik | Video verfügbar bis 05.09.2018 | Bild: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Info-Box: Inhalt in Kürze:
– Wer Arbeitslosengeld 2 (Hartz IV) bezieht, muss sich um Arbeit mühen, ansonsten drohen Kürzung und sogar Streichung der Leistung.
– Das führt in einigen Fällen zu einer dramatischen Verschlechterung der Lebenssituation einiger Betroffener.
– Kritiker fordern von den Ämtern, zu unterstützen, anstatt vorschnell zu strafen.
– Das Sozialgericht Gotha will vom Bundesverfassungsgericht klären lassen: Darf Hartz IV überhaupt gekürzt werden, wenn die Leistung das Existenzminimum sichern soll?
– Ein Hartz-IV-Empfänger hilft anderen Betroffenen mit seinem Verein aufRecht.

Eingang eines Jobcenters

Darf Hartz IV zur Strafe gekürzt werden? | Bild: Imago

Früher war Klaus Brieger ein erfolgreicher Mann. Er lebte in einem Einfamilienhaus in Iserlohn in Nordrhein-Westfalen. Er war Vertriebsleiter, später selbständig mit eigenem Fitnessstudio. Tage mit 14 oder 16 Stunden Arbeit waren keine Seltenheit. Das änderte sich schlagartig, wie Klaus Brieger berichtet: „Es kam der totale Zusammenbruch, Burn-out, bin einfach zusammengesackt, ohnmächtig geworden und im Krankenhaus wieder aufgewacht.“

Strafe statt Nachsicht

Klaus Brieger

Klaus Brieger arbeitete – und wurde trotzdem bestraft.  | Bild: Mitteldeutscher Rundfunk

Nach einem Jahr fühlt er sich fit genug, um wenigstens einen Minijob als Busfahrer anzunehmen. Er fährt morgens Kinder mit Handicap in die Schule. Zusätzlich beantragt er Hartz IV. Nur vorübergehend, so sein Plan, will er die Leistungen in Anspruch nehmen. Wegen seines Minijobs bittet er das Jobcenter, ihn erst dann zu Terminen zu bestellen, wenn er alle Kinder in die Schule gebracht hat, also frühestens ab 10 Uhr. Doch niemand kommt seiner Bitte nach: „Mich haben sie immer so um 7.30 Uhr bestellt, obwohl sie wussten, dass ich einen Minijob hatte und ich auch gesagt habe, dass ich zu dieser Uhrzeit nicht kommen kann. Trotzdem haben sie mich eben halt zu diesen Uhrzeiten bestellt und weil ich da nicht hingegangen bin, haben sie mich deswegen sanktioniert.“

Weil er nicht zu den Terminen erscheint, wird sein Hartz-IV-Satz gekürzt, erst um 30, später um 60 Prozent und am Ende komplett. Das Amt zahlt nicht einmal mehr die Miete – mit der Begründung, er sei wiederholt seinen Pflichten nicht nachgekommen.

Druck ist mit eingeplant

Hinter Hartz steckt auch die Idee, Druck auf Arbeitslose auszuüben, Arbeit anzunehmen. „Niemandem wird es künftig gestattet sein, sich zu Lasten der Gemeinschaft zurückzulehnen. Wer zumutbare Arbeit ablehnt – und wir werden die Zumutbarkeitskriterien verändern – der, meine Damen und Herren, wird mit Sanktionen rechnen müssen“, formulierte es 2003 Bundeskanzler Gerhard Schröder

Tragische Schicksale

der Rechtsanwalt Dirk Feiertag

Rechtsanwalt Dirk Feiertag weiß, welche Schicksale die Sanktionen auslösen können.  | Bild: Mitteldeutscher Rundfunk

Zumutbare Arbeit ablehnen, zu wenige Bewerbungen schreiben, Termine beim Jobcenter schwänzen: All das kann die sogenannte „Stütze“ kosten. Doch die Jobcenter schießen oft übers Ziel hinaus, findet Rechtsanwalt Dirk Feiertag. Rund 90 Prozent aller Sanktionsbescheide seien fehlerhaft, werden aber dennoch wirksam, weil sich Betroffene nicht zu wehren wissen. Das kennt Feiertag aus eigener Praxis: „Ich habe hier Fälle gehabt, da hat sich ein Mann über Monate von Blättern ernährt, weil er tatsächlich kein Geld bekommen hat, noch nicht einmal Lebensmittelgutscheine. Die Dunkelziffer von Menschen, die nie zum Anwalt gehen, die nicht zum Gericht gehen, die keinen Widerspruch einlegen, ist gerade bei Sanktionen unheimlich hoch. Das Leid, was dadurch verursacht wird, ist extrem.“

Sinn und Würde genommen

Ähnlich erging es auch Klaus Brieger. Weil er angeblich mehrfach seinen Pflichten nicht nachgekommen war, erhielt er die höchste Sanktionsstufe: Die Geldleistungen wurden komplett gestrichen und die Mietzahlungen eingestellt. Das hatte fatale Folgen: Auf einmal hatte Brieger Mietschulden, dann wurde ihm fristlos die Wohnung gekündigt.

„Das ist der Moment, wo man sagt, hat das denn überhaupt alles noch einen Sinn? Man steht davor und fragt sich, was bringt mir das Leben noch? Gar nichts mehr. Wenn da die Möglichkeit besteht, dass solche Menschen einen so kaputt machen können, dass man sogar obdachlos wird, dann frage ich mich: Wofür noch?“

Warum das Jobcenter Klaus Brieger so hart bestraft, obwohl er doch arbeiten ging und bereit war, zu späteren Terminen zu erscheinen, will das Amt Iserlohn auf Anfrage von „Plusminus“ nicht verraten – aus Gründen des Datenschutzes.

Armutsforscher: Keine vorschnellen Strafen

Armutsforscher Prof. Christoph Butterwegge

Für den Kölner Armutsforscher Prof. Christoph Butterwegge brauchen Betroffene Hilfe statt Strafen.  | Bild: Mitteldeutscher Rundfunk

Der Kölner Armutsforscher Prof. Christoph Butterwegge fordert, dass Jobcenter ihren Ermessensspielraum nutzen sollten, anstatt vorschnell zu strafen: „Nicht Strafe kann die Lösung sein, sondern Hilfe für die Betroffenen. Gerade wer lange in Hartz IV ist, der braucht Unterstützung: Der hat psychosoziale Probleme, der hat Suchtprobleme und dem muss geholfen werden: Wenn man den drangsaliert, wenn man den schikaniert, wie das mit den Sanktionen gemacht wird, dann treib man ihn in die völlige Resignation.“

Sozialgericht: Existenzsicherung geht vor

Jens Petermann vom Sozialgericht Gotha

Jens Petermann vom Sozialgericht Gotha  | Bild: Mitteldeutscher Rundfunk

Das Sozialgericht in Gotha stellt inzwischen Sanktionen gegen Hartz IV-Empfänger generell in Frage. Einem Beschluss des Gerichtes widersprechen Kürzungen des ALG II sogar dem Grundgesetz, wie Gerichtssprecher Jens Petermann erläutert: „Es ist geregelt, dass der Mensch ein soziokulturelles Existenzminimum haben muss. Es muss ihm ein Mindestmaß an finanziellen Möglichkeiten verbleiben, damit er seine Existenz sichern kann, damit er am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann. Das ermöglicht die Sanktionsregelung des SGB II nach Ansicht des Gerichts nicht mehr.“

Die Richter aus Gotha haben ihren Beschluss an das Bundesverfassungsgericht geschickt, mit der Bitte, diesen zu prüfen. Noch in diesem Jahr soll eine Entscheidung fallen. Wird es dann keine Sanktionen mehr gegenüber Hartz IV Empfängern geben?

aufRecht – Hartz-IV-Verein hilft

Ulrich Wockelmann vom Verein aufRecht

Ulrich Wockelmann hilft mit seinem Verein aufRecht anderen Betroffenen.  | Bild: Mitteldeutscher Rundfunk

Klaus Brieger konnte nur durch Freunde und Familie die Obdachlosigkeit abwenden. Hilfe bekam er auch von Ulrich Wockelmann. Der lebt selbst von Hartz IV und hat mit seinem kleinen Verein aufRecht schon 2.400 Ratsuchenden geholfen. Wockelmann konnte Klaus Brieger motivieren, vor Gericht zu ziehen: „Die Sanktion war unhaltbar, aber sie war halt vollstreckt. Das Geld war weg. Und die Rechtswege sind leider viel zu lang.“

Das Gericht konnte keine Pflichtverletzung feststellen und beauflagte das Jobcenter, das zu Unrecht einbehaltene Geld an Klaus Brieger auszuzahlen. Für ihn ist das ein schmerzhafter Sieg: „Ich habe alles zurückbekommen. Aber die Zeit, wo man beschuldigt wird, wo man nichts hat, kommt man sich vor wie ein Häufchen Elend. Meine Grundrechte, alles, was ich hatte, die ganze Menschlichkeit, die Würde, all das ist mir genommen worden durch diese Leute.“ Und diese Würde, die ihm fünf Jahre lang genommen wurde, gibt ihm kein Amt zurück.

Autorin: Anett Wittich, Stine Bode
Bearbeitung: Friedemann Zweynert

Stand: 30.08.2018 08:09 Uh

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