„JA ZUM ARBEITSKAMPF – NEIN ZUM TARIFEINHEITSGESETZ!“ (STREIK-ZEITUNG vom 23. Mai 2015)

Winfried Wolf // StrikeBlog19 // 23. Mai 2015

Nach dem Streik Nummer 9 und vor der Schlichtung

Oder: Wie die Medien die Kampagne gegen die GDL und ihre Politik der Desinformation fortsetzen
Die Bahn lief auch am Tag 1 nach dem Streik No 9, als ich auf dem Weg nach Bellinzona zu einer Veranstaltung zum GDL-Streik war, noch nicht rund. Mich hat´s gefreut. Und um nicht irgendwo zu stranden und um die Freunde der Officine in Bellinzona – diese hatten vor sieben Jahren das Bahnausbesserungswerk für einen Monat besetzt und ihren Kampf um den Erhalt des Werks gewonnen – nicht zu enttäuschen, trennte ich meine Bahnreise in zwei Teile: Berlin – Mannheim am Donnerstag und Mannheim – Bellinzona am Freitag. Am Samstag auf der Rückfahrt aus der Schweiz Richtung Berlin sichtete ich einen Berg Zeitungen und wertete diese aus. Mein Eindruck: Die Schlichtung hat noch nicht begonnen, da setzen die Leitmedien („Premium“ und Sumpf) ihre Stimmungsmache gegen die GDL fort: Sie trommeln für die fortgesetzte Konfrontation. Das könnte allerdings auch ein gutes Zeichen sein – ein Zeichen dafür, dass die GDL einen Erfolg einfuhr. Bitte HIER weiterlesen.

Eigentlich, so sollte man annehmen, müssten die Medien und die Deutsche Bahn AG nach dem Abbruch des Streiks und der Einigung der Tarifparteien auf eine Schlichtung einen gemäßigten Ton anschlagen. Offenkundig existiert nunmehr eine berechtigte Chance auf eine überzeugende, die Lage befriedigende Einigung bis Mitte Juni. Tatsächlich gibt es jedoch auf drei Ebenen Anzeichen dafür, dass viel dafür getan werden wird, dass es in der Schlichtung keine Einigung gibt.

Erstens fortgesetzte Anti-GDL-Hetze.

Zweitens fortgesetzter Intrigantenstadel Deutsche Bahn mit Juniorpartner EVG.

Drittens systematisches Verschweigen der Grundlagen der Schlichtung.

Erste Ebene – fortgesetzte Häme und Hetze gegen die GDL im Allgemeinen und gegen Claus Weselsky im Besonderen

Die Süddeutsche Zeitung vom 22. Mai bringt auf Seite 2 als Aufmacherfoto einen strahlenden Weselsky (kleine Äugchen, rote Bäckchen), Kamera aus der Froschperspektive von unten nach oben gerichtet, dazu die Schlagzeile: „War ich gut?“ Unterzeile: „Claus Weselsky gebärdet sich als Sieger.“ Dazu diesen zitierend: „Ich bin bekanntlich einer, der etwas von Strategie und Taktik versteht.“ Tenor: Weselsky als eingebildeter Machtmensch. Schlichter Ramelow wird gleich mit abgebürstet: „Hat jemand jemals einen Schlichter erlebt, dessen erste Amtshandlung darin besteht, aufzuwiegeln?“ Dabei sagte Ramelow nur die Wahrheit, als er feststellte: „Es war ein Fehler der Deutschen Bahn, so lange auf Vollkonfrontation zu setzen. Ich habe in meinem Leben […] ein derart unprofessionelles Vorgehen noch nie erlebt.“ Im übrigen ist Ramelow der von der GDL bestellte Schlichter; ein bisschen eigene Meinung darf da wohl sein. Platzek als der von der DB AG ausgewählte Schlichter, äußerte sich zuvor ebenfalls parteiisch. Vor allem gab er sich vor mehr als einer Woche dazu her, sich von Bahnchef Grube als DEN Schlichter präsentieren zu lassen (damals noch gedacht als ein neutraler), ohne zuvor mit der GDL das vertrauliche Gespräch über diesen Vorschlag gesucht zu haben.

Das Handelsblatt vom gleichen Tag geht bereits davon aus, dass die Schlichtung kein Ergebnis bringen könnte – und sieht die Verantwortung beim GDL-Bundesvorsitzenden. Dort heißt es: „Je näher das Gesetz der Tarifeinheit rückt, desto deutlicher die Kehrtwende des Cheflokführers. Jetzt kämpft er ums Ganze. […] In Gewerkschaftskreisen glauben daher nicht wenige, dass Weselsky in Wahrheit gar keinen Tarifabschluss will. Dass er den Konflikt bewusst eskaliert.“ (22.5.)

In diesem Großkapital-Blatt liest man: „Was sich da abspielt, ist Klassenkampf.“ Das wird im Handelsblatt allerdings zitiert; es sagt eine Dame mit Namen Gertrud Franz, 84 Jahre alt, eine der früheren Lehrerinnen von Claus Weselsky. Der Kommentator in Bild kommt dann zu demselben Ergebnis als Resultat der eigenen scharfsinnigen Analyse. Dort schreibt unter der scharfmacherischen Überschrift „Keine neuen Tricksereien, bitte!“ Jan W. Schäfer: „Der Lokführer-Chef setzt weiter auf Klassenkampf.“

Das Handelsblatt vom Pfingstwochenende widmet dem GDL-Streik ganze sieben Seiten. Naja. Objektive Informationen sind dort kaum zu finden; die Seiten handeln fast ausschließlich von Claus Weselsky – teilweise mit höchst demagogischen Passagen. Auf dem Titel wird ein genüsslich eine Zigarillo rauchender Weselsky abgebildet; daneben die Schlagzeile „Auf dem toten Gleis. Ein Mann legte die Republik lahm“. Erneut gibt es die ansonsten eher aus Bild bekannten Klitsches: „Weselsky spaltet … Darf man diesen Machtkampf auf dem Rücken von Millionen austragen? … Weselsky polarisiert“. Es gehe Weselsky „um Eitelkeiten.“ Natürlich darf da nicht fehlen, dass der Mann „in einem schwierigen Familienumfeld groß geworden“ sei. Für das Blatt „ergibt sich das Bild eines Mannes, der aus einfachen Verhältnissen kommt und unbedingt nach oben will, der […] inzwischen gar keinen Ausweg mehr findet aus seinem Kampf, den er an vier Fronten gleichzeitig kämpft: gegen die Bahn, gegen die EVG, gegen die genervte Öffentlichkeit und Politik; gegen die eigenen Leute (!), die den Streik langsam im eigenen Portemonnaie spüren – und gegen die eigene Vergangenheit, die ihn nun mit Wucht einzuholen droht.“

An dieser Stelle denkt man: Ups – was kommt jetzt bloß? Hat der Mann eine Dissertation mit dem Titel „Die marxistisch-leninistische Betriebsführung bei der Deutschen Reichsbahn“ geschrieben? Oder wird er als „IM Tender“ enttarnt? Hat er möglicherweise Reichsbahnkollegen mit Dampflok-Kohle bei der Stasi angeschwärzt? Mit geklauter, womöglich? Zumal im Artikel neben dieser Textstelle ein bräunliches Foto, Typ DDR-Kombinat ORWO, Wolfen, eingefügt ist, Weselsky, etwas jünger fürwahr, mit einer Frau im Arm, tanzend (sieht nach Foxtrott aus).

Doch nichts von alledem. Das Blatt ist nur tief dort unten gelandet, wo Bild sich schon vor Monaten suhlte. Die Tanzpartnerin ist seine Ex, die ein weiteres Mal als Kronzeugin auftreten durfte, nunmehr den Ego-Trip des C. W. bezeugend: „Er hat alle hintergangen, um oben anzukommen.“

Man sollte denken, dass die Plattheit eines solchen Journalismus nicht mehr getoppt werden kann. Tags darauf wird man mit der Bild-Schlagzeile „GDL-Streiks treiben Spritpreise in die Höhe“ eines Besseren belehrt. Wie spottete doch Weselsky jüngst: „Ja, ich bin dann wohl auch für den Feinstaub in den Städten verantwortlich.“

Ebene zwei – der Intrigantenstadel Deutsche Bahn AG mit Juniorpartner EVG

Für den vergangenen Mittwoch hatte die EVG nach Berlin mobilisiert. Man werde wohl tags darauf oder am Freitag einen Tarifvertrag abschließen, hieß es. Immerhin, so zitierte Die Welt (22.5.) einen EVG-Funktionär, habe man „für die hoffentlich finalen Verhandlungen (die) Zahnbürsten mitgebracht.“ Die Dramaturgie lautete offensichtlich: Während die GDL zum neunten Mal in den Streik gezwungen wurde, zeigen wir, wie es auch ohne geht – mit einem klaren Plus in der Lohntüte. Doch dann teilten die „Tarifpartner“ Bahn und EVG am Freitagmorgen mit, man habe sich auf den 27. Mai vertagt.

Klar: Kein GDL-Streik, kein EVG-Hohn. Schmierenkomödie abgeschmiert.

Zum weiteren Zeitplan der EVG-Verhandlungen sagte der EVG-Vorsitzende Alexander Kirchner: „Da nehmen wir jetzt auch keine Rücksicht auf die Schlichtung.“ Und Personalvorstand Weber assistiert: „Schlichtungsverfahren einerseits und EVG-Verhandlungen andererseits haben nichts miteinander zu tun.“ (Beide Zitate nach: Die Welt, 23. 5.). Irgendwie seltsam. Die Bahn sagt, sie benötige weitgehend inhaltsgleiche, zumindest „widerspruchsfreie“ Tarifverträge mit EVG einerseits und GDL andererseits. Wer das verantwortlich anstrebt, muss diesen Zusammenhang betonen. Und nicht behaupten, das habe „nichts miteinander zu tun“. Und dann noch zustimmen, dass an ein und demselben Tag mit der EVG verhandelt und zwischen Bahn und GDL geschlichtet wird.1 Womit der Eindruck entsteht, dass diese Parallelität als ein Störmanöver wirken soll, das sich gegen die Schlichtung richtet.

Die Deutsche Bahn AG spricht laut Frankfurter Allgemeine Zeitung (22.5.) bereits vor Schlichtungsbeginn davon, dass es notwendig sein könnte, die Schlichtung, die laut Vereinbarung am 17. Juni endet, „um eine Woche zu verlängern“. Ein Grund dafür wird nicht genannt. Es entsteht der Eindruck, dass es dafür zwei Gründe geben könnte: Erstens wollen die DB-Oberen, und damit die Bundesregierung, kein Ergebnis in der Schlichtung. Und zweitens will man das Ende der Schlichtung – und damit den Verzicht auf Streiks – bis ganz nah an den Beginn der ersten Schulferien heran rücken: Der letzte Schultag in NRW vor den Sommerferien ist der 26. Juni. Eine Verlängerung der Schlichtung hieße: Friedenspflicht bis zum 24. Juli. Platzt dann doch die Schlichtung – womöglich, weil die Deutsche Bahn AG und das Kanzleramt dem Schlichter-Ergebnis in letzter Stunde nicht zustimmen – so würde es der GDL erheblich erschwert sein, einen weiteren Streik auszurufen.

Dritte Ebene – keine Information über die Grundlagen der Schlichtung.

In den Medien wird nirgendwo ausreichend und sachlich kommuniziert, was die Grundlagen der Schlichtung sind. Wenn darauf Bezug genommen wird, dann in der Form, dass die GDL zitiert wird und das Ganze im Konjunktiv gehalten ist. Beispielhaft in der Welt (22.5.): „Mit der Einigung auf eine Schlichtung sind NACH ANSICHT DER GDL nun unterschiedliche Tarifverträge mit konkurrierenden Bahngewerkschaften möglich. Die Deutsche Bahn HABE ZUGESAGT, dass die von der GDL vertretenen Mitglieder auch dann Tarifverträge BEKÄMEN, wenn es keine Tarifeinheit GEBE.“ Ganz ähnlich in der FAZ: „Weselsky sagte zur Begründung für sein Einlenken, die Bahn HABE akzeptiert, dass die Tarifverträge anderer Gewerkschaften für die Annahme eines Schlichterspruchs oder den Abschluss eines Tarifvertrags kein Rolle SPIELTEN. […] Für die Schlichtung SEI ein 20-Punkte-Katalog festgelegt worden.“

Warum, so ist zu fragen, recherchieren diese Medien nicht und bestätigen unzweideutig, dass es diese klaren Abmachungen gibt? Warum behaupten sie erneut, GDL bzw. Weselsky hätten „erst jetzt“ oder – so die FAZ – „unter Druck einer Schlichtung zugestimmt“? Warum zeigen sie ihren Leserinnen und Lesern nicht, was sie doch als pdf auf ihren Bildschirmen und als Print in ihren Händen haben: Dass die GDL in der Woche zuvor der Deutschen Bahn AG in den internen, bilateralen Gesprächen einen ausführlichen, vergleichbaren Text als Grundlage eines Schlichtungsverfahrens vorgelegt hatte? Dass die DB AG darüber nicht verhandelt hat. Dass diese die Gespräche abgebrochen hatte… was dann erst Anlass zum neunten Streik war? Dass es also gar nicht stimmt, dass die GDL erst jetzt einer Schlichtung zustimmte?

Doch genau das, was Grundlage der Schlichtung ist, werde es, so weiß es vor der Schlichtung bereits das Handelsblatt (22.5.), nicht geben. „Weselsky verfolgt das Ziel eines eigenen Tarifvertrags für Lokführer und Zugpersonal, eine Forderung, die die Bahn partout nicht erfüllen will – Schlichtung hin oder her.“ Und, ebenfalls dort: „Es ist der Kampf seines Lebens – und Claus Weselsky droht ihn zu verlieren.“

Starker Tobak. Einerseits ist es Grundlage der Schlichtung, dass das Ziel ein solcher „eigener Tarifvertrags für Lokführer und Zugpersonal“ ist. Deutsche Bahn AG und GDL und die beiden Schlichter haben dieser Grundlage zugestimmt. Andererseits schreibt das kapitale Blatt, die DB AG werde dem „nie zustimmen“. Und Herrn Weselsky drohe „den Kampf seines Lebens (zu) verlieren“.

Klingt wie eine Drohung.

Doch, doch: Das ist Klassenkampf. Klassenkampf von oben.

PS: Die Kollegen auf „meiner“ Veranstaltung in Bellinzona lassen ausrichten, dass sie den Kollegen und Kolleginnen der GDL viel Erfolg wünschen. Schweizer Lokführer, die auf dem Treffen ebenfalls anwesend waren, wiesen darauf hin, dass ein Erfolg der GDL auch ihnen direkt Entlastung bringe. Die im Vergleich zur Schweiz deutlich niedrigeren Einkommen der deutschen Lokführer und die längeren Arbeitszeiten bei uns führten inzwischen zu der folgenden grotesken Situation: Eisenbahnunternehmen lassen deutsche Lokführer per Flugzeug nach Basel einfliegen. Diese fahren Güterzüge von Basel nach Chiasso an der schweizerisch-italienischen Grenze und von dort aus Italien kommende Güterzüge von Chiasso zurück nach Basel. Von dort gehe es mit dem Flieger zurück an den deutschen Wohnort. All das, um den eigentlich vorgesehenen Einsatz „teurer“ Schweizer Lokführer zu vermeiden.

Winfried Wolf / verantwortlicher Redakteur STREIKZEITUNG // StrikeBlog19 // 23. Mai 2015

1 Wohlgemerkt: Es geht dabei nicht um die Form eines bewusst gewählten Modells, wonach Gespräche mit beiden Gewerkschaften am gleichen Ort, wenn auch durchgeführt in Form einer Art Pendeldiplomatie Bahn mit GDL und Bahn mit EVG, stattfinden. So zu verfahren schlug die GDL bereits vor Monaten vor. So verfuhr man in der alten BRD in den 1970er und 1980er Jahre mehr als eineinhalb Jahrzehnte mit Erfolg, als damals die Gewerkschaften HBV und DAG nicht mehr in einer Tarifgemeinschaft antreten wollten, und auf der Gegenseite der Arbeitgeberverband der Banken und Versicherungen eine solche Verhandlungsweise praktizierte. Die Deutsche Bahn AG macht dies jedoch heute nicht – unter Verweis auf die EVG, die dazu nicht bereit sei. Es handelt sich dabei offensichtlich um ein Über-die-Bande-Spiel. Hätte der Bahnkonzern ernsthaft eine solche Verhandlungsstruktur gewollt, dann hätte er dies offen sagen und damit öffentlich erfolgreich Druck auf die EVG ausüben können.

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