Liebe Kolleginnen und Kollegen,
soeben hat uns als Gewerkschafter/Innen-Arbeitskreis (AK) der 34. ordentliche NEWSLETTER 2023 des Kollegen Harald Thomé (http://ak-gewerkschafter.com/?s=harald+thom%C3%A9) erreicht.
(Foto: Regine Blazevic)
Wir haben diesen NEWSLETTER zu Eurer gefälligen Kenntnisnahme und Bedienung auf unsere Homepage gepostet und in den Kategorien „HARTZ IV“ (http://ak-gewerkschafter.com/category/hartz-iv/) und „SOZIALPOLITIK“ (http://ak-gewerkschafter.com/category/sozialpolitik/) archiviert.
Für den AK Manni Engelhardt -Koordinator-
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Thomé Newsletter 34/2023 vom 01.11.2023
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,
mein heutiger Newsletter zu folgenden Themen:
1. Protest gegen 30 Jahre Asylbewerberleistungsgesetz: Die Menschenwürde gilt für alle!
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Vor 30 Jahren – am 1. November 1993 – trat das Asylbewerberleistungsgesetz in Kraft. Zum traurigen Jubiläum kritisiert ein Bündnis von 154 Organisationen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene die aktuell besonders heftige Debatte über immer weitere Einschränkungen bei Sozialleistungen für Geflüchtete. Die Forderungen des Appells lauten: Das Asylbewerberleistungsgesetz muss abgeschafft werden! Die Betroffenen müssen in das reguläre Sozialleistungssystem eingegliedert werden.
Das bedeutet 30 Jahre lang Diskriminierung, Entmündigung und Kürzungen am Existenzminimum Geflüchteter – das ist die Bilanz, die PRO ASYL und Wohlfahrtsverbände, medizinische Organisationen, Menschenrechtsorganisationen und Antidiskriminierungsvereine ziehen. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: „Mit Bestürzung verfolgen wir die aktuelle politische Debatte über Asylsuchende, die zunehmend von sachfremden und menschenfeindlichen Forderungen dominiert wird. Die Diskussionen über Sozialleistungen sind dafür ein gutes Beispiel. Die im Raum stehenden Forderungen reichen von einer generellen Umstellung von Geld- auf Sachleistungen über diskriminierende Bezahlkarten und eine Kürzung des Existenzminimums bis hin zur Forderung, dass kranken Menschen eine medizinische Grundversorgung vorenthalten werden soll“, heißt es in dem heute veröffentlichten Appell. Dieser ist hier zu finden: https://t1p.de/d3ts7
2. Regelsätze für 2024 beschlossen: Bundesrat stimmt zu
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Der Bundesrat hat am 13.10. den neuen Regelsätzen für das Jahr 2024 zugestimmt; genauer der – Achtung Wortungeheuer: – Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2024; siehe BR-Drs. 454/23. Siehe: https://t1p.de/5dwpi und auf der Seite des BMAS: https://t1p.de/93yi7
Alleinstehende Erwachsene erhalten ab Januar 2024 monatlich 563 Euro – 61 Euro mehr als bisher. Übersicht:
Regelbedarfsstufe 1 (alleinlebende Erwachsene) 563 Euro
Regelbedarfsstufe 2 (Erwachsene Partner*innen) 506 Euro
Regelbedarfsstufe 3 (Erwachsene; § 27b SGB XII) 451 Euro
Regelbedarfsstufe 4 (Jugendliche 14 bis 17 Jahre) 471 Euro
Regelbedarfsstufe 5 (Kind 6 bis 13 Jahre) 390 Euro
Regelbedarfsstufe 6 (Kind bis 6 Jahre) 357 Euro
Auch die Beträge für den persönlichen Schulbedarf erhöhen sich um etwa zwölf Prozent: im ersten Schulhalbjahr von 116 Euro auf 130 Euro und im zweiten Schulhalbjahr von 58 Euro auf 65 Euro. Zum Schulbedarf zählen zum Beispiel Schreibutensilien, Taschenrechner oder Bastelmaterial.
Siehe für weitere Informationen und eine Einordnung die Seite des Paritätischen. Daraus: „In der politischen Debatte wird verschiedentlich wieder einmal auf ein Lohnabstandsgebot verwiesen: Erwerbsarbeit lohne sich nicht oder nur zu wenig, weil die Grundsicherungsleistungen zu stark stiegen. Dazu prinzipiell: die rechtliche Norm eines Lohnabstandes wurde vom Bundesverfassungsgericht 2010 kritisiert und findet sich seitdem nicht mehr im Gesetz. Für die Ermittlung des Existenzminimum sind die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt rechtlich nicht relevant. Gleichwohl ist es eine gesellschaftlich geteilte Norm, dass Erwerbstätige mehr Geld zur Verfügung haben sollen als Nicht-Erwerbstätige. Dies ist mit den geltenden Regeln auch gewährleistet, da [wird ausgeführt]“
Kurzbemerkung dazu:
Die Regelleistungen sind und bleiben zu niedrig, soziokulturelle TEILHABE, also menschenwürdiges Leben ist damit nicht möglich. Der Paritätische fordert richtig, diese müssten mindestens 813 EUR betragen. Erste Schritte in diese Richtung können und müssen sein:
- Herausnahme der Haushaltsenergie aus den Regelsätzen, Einordnung der Haushaltsenergie in die KdU!
- Wegen der eklatanten Unterdeckung der Regelleistungen grundsätzliche Gewährung von Ersatzbeschaffungsgegenständen oberhalb von 100 EUR auf Zuschussbasis, d.h. konsequente Umsetzung des § 21 Abs. 6 SGB II/§ 30 Abs. 10 SGB XII.
- Aufgabe der Deckelung der Unterkunftskosten wegen fehlender Umzugserfordernis nach § 22 Abs. 1 S. 6 SGB II.
Das sind natürlich nur teilweise Vorschläge, aber damit könnte die Not kurzfristig gemildert werden. Für den zweiten Punkt bedarf es nur einer Änderung einer Dienstanweisung durch das BMAS, hier ist also Herr Heil gefragt!
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3. Kundgebung gegen Sozialkürzungen am 8. November 2023 in Berlin
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Pflichtveranstaltung für mind. alle Berliner*innen:
Die Bundesregierung plant drastische Kürzungen im sozialen Bereich. Dagegen stellen sich die sechs Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege am 8. November ab 16 Uhr gemeinsam – im Rahmen einer von der AWO geplanten Kundgebung zum Bundeshaushalt 2024 in Berlin.
Die Bundesregierung hat mit ihrem Haushalt für das kommende Jahr drastische Kürzungen für soziale und zivilgesellschaftliche Organisationen beschlossen. Die Pläne zwingen zu massiven Einschnitten bei sozialen Angeboten: von Freiwilligendiensten über die psychosoziale Versorgung Geflüchteter bis hin zur Unterstützung Arbeitsuchender. Doch bevor die Pläne Wirklichkeit werden, muss der Bundestag noch zustimmen.
Deshalb protestieren wir am 8. November gemeinsam mit unseren Kolleg*innen von der AWO, der ZWST, Caritas, Diakonie und dem DRK und fordern: Stoppen Sie die Sozialkürzungen!
Wann? Am 8. November von 16 – 18 Uhr.
Wo? Berlin, Platz der Republik. Auf der Wiese vor dem Reichstagsgebäude.
Mehr dazu: https://t1p.de/637rm
4. Die BA und deren Hotline und ihre Probleme mit Bevollmächtigungen von Beratungsstellen
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Mitarbeitende am Servicetelefon der BA erklärte einer Mitarbeiterin einer Beratungsstelle, „dass auf Schweigepflichtsentbindungen Namen + Adresse + Geburtsdatum + Unterschrift jeder Beratungsstellenmitarbeiterin“ erforderlich seien.
Diese Vorgabe wurde berechtigt von der Beratungsstellenkollegin als ziemlich kritisch angesehen und eine Beschwerde an die BA Zentrale und an den Bundesdatenschutzbeauftragten (BFDI) zur Klärung des Sachverhalts geschrieben.
Die Antwort der BA ist klar und deutlich: „Die Bundesagentur für Arbeit macht grundsätzlich keine Vorgaben hinsichtlich der Ausgestaltung von Vollmachten und Schweigepflichtentbindungen, da die Vollmachterteilung grundsätzlich formfrei möglich ist. […] Um Missverständnisse auszuräumen und die Frage der Bevollmächtigung von Einrichtungen klarzustellen, hat der zuständige Fachbereich der Zentrale einen weiteren FAQ-Eintrag entworfen, der die Bevollmächtigung von Einrichtungen behandelt. Dieser sieht vor, dass eine Nennung einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtungen nicht erforderlich ist.“
Damit stellt die BA deutlich klar, dass keinesfalls Namen + Adresse + Geburtsdatum + Unterschrift jeder Beratungsstellenmitarbeiterin in Vollmachten erforderlich sind.
Die Stellungnahmen der BA, die Weisung und die etwas zu kurz geratene Stellungnahme des BFDI zum Download: https://t1p.de/ett2m
Kurzbemerkung: Herzlichen Dank an die Kollegin, dass sie aufgehorcht und die Frage gestellt hat, ob das so richtig sein kann. Darum geht es nämlich. Die Verwaltung ist in einem Rechtsstaat an das Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG, § 31 SGB I), dessen Regeln werden aber immer wieder missachtet. Daher ist es Aufgabe von BürgerInnen, Beratungsstellen, Sozial- und Wohlfahrtsverbänden das Behördenhandeln immer wieder mal Infrage zu stellen und im Zweifel die Fachaufsichtsbehörden oder die Gerichte einzuschalten, um die Einhaltung des Rechts, genauer gesagt der Grundrechte, einzufordern. Die BA hat im vorliegenden Fall hervorragend reagiert, eine Stellungnahme abgegeben und dafür Sorge getragen, dass die Weisung präzisiert wird. Der BFDI hat eher gepatzt, er hätte die Eingabe nutzen sollen und müssen, hier der BA nochmal deutlich den Datenschutzverstoß aufzuzeigen. Eigentlich genau der Job des Bundesdatenschutzbeauftragten.
Ich möchte andere ermutigen, aufmerksam zu sein und „komische“ Dinge auf Recht und Gesetz zu hinterfragen und wenn Ihr/Sie Missstände erkennt, diese anzugreifen. Einschalten von Aufsichtsbehörden kann ein Weg dazu sein.
5. Auch 2024 im SGB II Pflicht eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einzureichen
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Die BA teilt in einer aktuellen Weisung zur AUB mit, dass zum elektronischen Abruf von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AUB’s) keine Rechtsgrundlage besteht und deswegen die AUB’s
weiterhin in Papierform einzureichen sind. Allerdings entfällt diese Pflicht für SGB III’er und Menschen, die aufstockend Bürgergeld erhalten. Mehr dazu in der Weisung vom 23.10., hier zum Downloaden: https://t1p.de/er7s3
6. Deutsches Menschrechtsinstitut: Aufenthaltstitel für Betroffene häuslicher Gewalt – Umsetzungsempfehlungen zu Art. 59 Abs. 1-3 Istanbul-Konvention“
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Die Analyse arbeitet heraus, welche Anpassungen im nationalen Recht erforderlich sind, um die Europaratskonvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vollumfänglich umzusetzen. Aktuell bestehen Schutzlücken in Bezug auf Betroffene häuslicher Gewalt in prekärer aufenthaltsrechtlicher Situation. Es wird ein verlängerbarer, eigenständiger Aufenthaltstitel aufgrund der persönlichen Lage und zur Mitwirkung im Ermittlungs- oder Strafverfahren in § 25 AufenthG empfohlen.
Mehr dazu: https://t1p.de/g8u13