Liebe Kolleginnen und Kollegen,
unlängst berichteten wir über den Fortgang der weiteren Verhandlungen der Tarifvertragsparteien zur Zusatzversorgung für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes
http:/www.ak-gewerkschafter.de/2011/07/20/ver-di-ts-berichtet-nummer-222011/
Nunmehr stellen wir fest, dass gegen Vereinbarungen in diesem Tarifvertrag, der nach dem BGH-Urteil vom 14.11.2007 ganz anders hätte aussehen müssen, weiter eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof (EUGH) für Menschenrechte in Straßburg geführt wird, da u.a. die Neuregelungen in Bezug auf die Startguthaben der rentenfernen Versicherten (Ab Jahrgang 1946!!!!) einer rechtskritischen Überprüfung in keiner Weise standhält. Die Rechtsanwaltsgemeinschaft Hecker & Kollegen führt diese Beschwerde weiter und zeichnet für die nachstehende, sehr umfassende Information über die Gesamtlage verantwortlich.
Sehr gerne haben wir diese Information zu Eurer gefälligen Kenntnisnahme und Bedienung auf unsere Homepage gepostet.
Wir wünschen Euch viel Spaß beim Lesen! Über den Fortgang der Angelegenheit werden wir weiter berichten.
Für den AK Manni Engelhardt
-Koordinator-
——– PROBLEMATISCHE WEITERE VEREINBARUNG DER TARIFPARTEIEN ZUR
ZUSATZVERSORGUNG IM ÖFFENTLICHEN DIENST
—————————-
*1.*
Die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes hatten sich bekanntlich
am 13.11.2001 im Altersvorsorgeplan 2001 auf einen Systemwechsel geeinigt.
Die Einzelheiten wurden im Tarifvertrag über die betriebliche Altersversorgung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes (Tarifvertrag Altersversorgung – ATV) vom 03.01.2002 vereinbart.
Danach stellten die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) sowie
andere Zusatzversorgungskassen ihr Zusatzversorgungssystem mit Ablauf des
31.12.2001 von einer an der Beamtenversorgung orientierten Gesamtversorgung
auf ein auf die Verzinsung von Beiträgen ausgerichtetes Punktemodell um.
Danach errechnet sich die bei Eintritt des Versicherungsfalls zu leistende Betriebsrente aus der Summe der erworbenen Versorgungspunkte. Zu dem genannten Stichtag wurden die Werte der bereits erlangten Rentenanwartschaften festgestellt und als so genannte Startgutschriften auf
die neuen Versorgungskonten übertragen.
Die Reform der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst unterscheidet zwischen zwei Gruppen, nämlich einmal den sog. „rentennahen“
Geburtsjahrgängen (1936 – 1946) und zum anderen den „rentenfernen“
Geburtsjahrgängen (1947 und jünger).
In Ausnahmefällen (Erwerbsminderungsrente, Schwerbehinderung,
Altersteilzeit) wurden
gewisse Gruppen der „Rentenfernen“ auch als fiktiv rentennah behandelt.
*2.
*Der Bundesgerichtshof hat durch Urteil vom 14.11.2007 die den rentenfern Versicherten erteilten Startgutschriften für verfassungswidrig erklärt. Er hat die Tarifparteien aufgefordert, eine verfassungskonforme Neuregelung herbeizuführen.
*3.*
Die Tarifparteien teilen nunmehr mit, dass sie sich am 30.05.2011 auf eine solche Neuregelung – 5. Änderungsvertrag zum Altersvorsorge- TV – geeinigt hätten.
Diese ergänzende Einigung der Tarifparteien wird von den Gewerkschaften weitgehend als großer Erfolg für die Arbeitnehmer dargestellt. Die ursprüngliche Forderung der Arbeitgeber, die Grundlagen des Punktemodells und das Niveau der Zusatzversorgung insgesamt in Frage zu stellen, sei von den Gewerkschaften erfolgreich abgewehrt worden. Die neuen Regelungen seien
rechtssicher.
Tatsächlich halten nach hiesiger Auffassung die neuerlichen Tarifvereinbarungen einer rechtskritischen Überprüfung in keiner Weise stand.
Wir werden hierzu ergänzend berichten, vorab sei folgendes ausgeführt:
*a. Keine kritische Überprüfung des sogenannten Näherungsverfahrens*
Die Tarifparteien haben in keiner Weise die bei der Systemumstellung angewandten Transfervorschriften insgesamt einer kritischen Überprüfung unterzogen, sondern die getroffenen Vereinbarungen lediglich auf geringfügige Veränderungen reduziert.
Tatsächlich hat die Anwendung des bei der Systemumstellung angewandten sogenannten Näherungsverfahrens zu gänzlich willkürlichen Kürzungen der erdienten Rentenanwartschaften der Versicherten geführt. Es kam zu Kürzungen im Regelfall zwischen 30 und 50 %, in Einzelfällen auch darüber hinaus bis zu einer Höhe von 80 %.
Zu diesen Willkürlichkeiten ist *keinerlei Korrektur erfolgt*, obwohl der Bundesgerichtshof im Pilotverfahren vom 14.11.2007 im Hinblick auf die aufzunehmenden weiteren Verhandlungen der Tarifparteien ausgeführt hatte:
bedenken/„ In diesem Zusammenhang haben die Tarifparteien zugleich Gelegenheit, die Ausführungen der ausschließlichen Anwendung des Näherungsverfahrens erneut zu bedenken/“.
/
Dieser nicht zu überlesende Hinweis des Bundesgerichtshofs wurde von den Tarifparteien zur Seite gewischt.
*b. Fortsetzung des verfassungswidrigen Eingriff in die geschützten Eigentumsrechte **der Versicherten*
Damit setzt sich unseres Erachtens der verfassungswidrige Eingriff in die geschützten Eigentumsrechte der Versicherten fort.
Die von unserer Rechtsanwaltssozietät hierzu geführten anhängigen
*Beschwerden* vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg *werden *somit *fortgeführt.*
*c. Fortsetzung des verfassungswidrigen Verstoßes gegen das
Gleichheitsgebot*
Auch der verfassungswidrige Verstoß gegen das Gleichheitsgebot setzt sich unseres Erachtens fort.
Die Tarifparteien haben lediglich für eine Personengruppe (für rentenfern Versicherte mit langen Vorzeiten) eine ergänzende – höchst komplexe – neue Berechnungsform vereinbart, die noch gesondert darzulegen sein
wird.
Vorab sei angemerkt, dass nach vorläufiger Betrachtung maximal 15 % der 1,7
Millionen rentenfern Versicherten mit einem geringfügigen Zuschlag auf die Startgutschrift in Höhe von etwa Euro 20,00 rechnen können.
Die Erhöhung erweist sich indessen nicht nur als gänzlich sozial unausgewogen. Sie beinhaltet vielmehr durch die Gruppenbildung neue Willkürlichkeiten, die wiederum einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 GG beinhalten.
Beispielhaft sei vorab ausgeführt:
* *Alle rentenfern Versicherte*, die *bis zum vollendeten 25. Lebensjahr* in
den öffentlichen Dienst eingetreten sind, erhalten *keinen Zuschlag*.
Darunter sind zum Beispiel auch Akademiker, die also weiterhin
überproportional benachteiligt sind, obwohl der BGH gerade dies
ausschließen wollte.
* *Jüngere rentenfern Versicherte* ab dem Jahrgang 1961 bekommen ebenfalls
*grundsätzlich keinen Zuschlag*, auch wenn sie längere
Ausbildungszeiten nachweisen können und auf weniger als 40 erreichbare
Pflichtversicherungsjahre kommen.
* Rentenfern Versicherte der Jahrgänge 1947 bis 1960 sind in jedem sechsten
Fall von einem Zuschlag ausgeschlossen – trotz längerer Ausbildungszeit
und weniger als 40 erreichbaren Pflichtversicherungsjahren. Dazu zählen
insbesondere die Jahrgänge 1956 bis 1960, falls nur wenige
Pflichtversicherungsjahre bis Ende 2001 tatsächlich erreicht wurden.
* Am 31.12.2001 *alleinstehende, ältere rentenfern Versicherte* bekommen in
den meisten Fällen trotz eines Zuschlags auf den alten Formelbetrag nach
§ 18 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG *keinen Zuschlag* auf ihre alte
Startgutschrift, da der neue Formelbetrag weiterhin unter dem Mindestwert
nach § 18 Abs. 2
Nr. 4 BetrAVG bleibt.
* Verheiratete *Spitzenverdiener* mit längeren Ausbildungszeiten und sehr
wenig Pflichtversicherungsjahren (z.B. Eintritt in den öffentlichen
Dienst erst mit 45 Jahren) erhalten die *höchsten Zuschläge* bis zu 40
% auf ihre bisherige Startgutschrift.
Die Reduzierung der Neuregelung auf eine kleine Personengruppe führt zudem zu dem gänzlich abwegigen Ergebnis, dass nunmehr *Versicherte, die gezielt spät in die Zusatzversorgung eintreten, gegenüber bei der Zusatzversorgungskasse langfristig Versicherten privilegiert werden.
*
Dies alles beinhaltet unseres Erachtens einen erneuten Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot nach Art. 3 GG.
*4.
*Die Redaktion der neuerlichen Tarifvertragsrechte – 5.
Änderungsvertrag zum Altersvorsorge-TV – ist noch nicht abgeschlossen.
Für die Tarifparteien läuft noch eine Erklärungsfrist bis 31.07.2011.
Auch die Umsetzung in die jeweiligen Satzungen der Zusatzversorgungskassen wird erfahrungsgemäß nochmals einen erheblichen Zeitraum (voraussichtlich
4-6 Monate) benötigen.
Wir werden Sie ergänzend über die getroffenen Vereinbarungen und über die Möglichkeiten, Ihre Rechte zu wahren, informieren.
Mit freundlichen Grüßen
Rechtsanwälte Valentin Heckert, Harriet Schäfer-Heckert, Wolfgang Klohe,
Evelyn Wettstein, Joachim Städter durch: Rechtsanwalt Valentin Heckert
Kanzlei Rechtsanwälte Heckert & Kollegen Akademiestr. 28 D-76133
Karlsruhe Tel. 0721 / 91 36 70 Fax 0721 / 91 36 7- 10 Mail
mailto:vh@rae-heckert.de?subject=Blogbeitrag%20Mutterschutz
Web www.startgutschrift.de http://www.rae-heckert.de/
http://www.rae-heckert.de/
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