Dinarin Aleksandar Nikolic erzählt eine Story unter dem Titel: „München-Max-Vorstadt“!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

auch am heutigen Sonntag wollen wir Euch eine Erzählung unseres Gewerkschafter/Innen-Arbeitskreis- (AK-) Mitglied, des Schriftstellers Dinarin Aleksandar Nikolic (http://www.ak-gewerkschafter.de/?s=dinarin+aleksandar+nikolic) präsentieren.

Unter dem Titel „München Max-Vorstadt“ offenbart Dinarin Aleksandar eine wahre Begebenheit, die, kommt man dann zum Schluss der Erzählung, schon ein wenig unheimlich anmutet.

Aber lest bitte selbst, hier soll nicht zu viel vorweggenommen werden.

Für den AK Manni Engelhardt –Koordinator-

http://www.muenchner.de/museumsnacht2003/images/max_plan.jpg

„München Max-Vorstadt“ eine wahre Begebenheit – erzählt von Dinarin Aleksandar Nikolic:

„Damals, vor Jahrzehnten, hatte ich diese Insel, die das Zuhause bei Mutter Ruzica und Iron man tatsächlich war, verlassen. Ich sage deswegen Insel, weil Iron man, Mutter und wir Kinder in einer zur Umwelt vollkommen verschiedenen Welt lebten, wenn die Eingangstür zu dieser Welt geschlossen wurde.

Wenn ich mich zurückerinnere, kann ich nur sagen – eigentlich wollte ich nicht – aber ich hatte diese Insel zu verlassen.

Ohne auf die Ereignisse einzugehen, die zwischen meinem Auszug und meiner Ankunft in München lagen, erwähne ich nur, dass mein allergrößter Wunsch war, diesen Ort, an den ich jetzt dennoch zurückgekehrt bin, zu verlassen. Ich mochte diesen Ort nicht, ich fühlte mich eingezwängt, unfrei und hatte das Gefühl, nicht richtig durchatmen zu können.

Ich hatte bereits länger geplant, wegzuziehen und die nächstbeste Gelegenheit ergriff ich sofort.

Dann war ich in München. Tatsächlich konnte ich bereits nach zwei Wochen wieder frei atmen, spürte die Freiheit, die ich ersehnt hatte und wollte eigentlich nur eine kurze Zeit verweilen, um dann an irgendeinen anderen Ort auf dem Blauen Planeten zu ziehen, um dann erneut weiterzuziehen. Ich bin auf eine bestimmte Weise ein Wanderer oder Reisender.

Aber, jedes Mal, wenn mir dieser Gedanke kam, verwarf ich ihn. Es war mir nicht beschieden, diese Facette meiner Begabung zu verwirklichen.

Ich schrieb mich als Student an einer Münchener Hochschule ein. In den ersten Wochen wohnte ich in einem Hotel, bis ich in der Süddeutschen Zeitung eine Anzeige entdeckte, die ein freies Zimmer in einer WG anbot. In den siebziger Jahren war München eine sogenannte Modestadt. Sehr viele zogen nach München, so dass Studienplätze extrem knapp und sehr schwer zu bekommen waren. Wohnungen waren ebenso rar und bekanntlich bestimmt ein knappes Angebot bei großer Nachfrage den Preis. Mieten, auch nur für ein Zimmer, konnten horrende Höhen erreichen.

Umso erstaunlicher war, dass der Preis für das Zimmer aus der Anzeige extrem niedrig war. Ich rief sofort an, bekam einen Besichtigungstermin und der Zimmernachbar war mit mir als zukünftigen Mitbewohner sofort einverstanden. Ich war übrigens der einzige Interessent. Der Eigentümer des Gebäudes war eine große deutsche Versicherungsgesellschaft und ich erfuhr, dass der ganze rechtsseitige Straßenzug, vom Zentrum aus gesehen, ebenfalls dieser Gesellschaft gehörte. Ich bekam einen Termin beim Verwalter aller Immobilien in der Amalienstraße, der nach einem Gespräch über den Abschluss eines Mietvertrages entscheiden wollte.

Die Amalienstraße liegt in der sogenannten Max-Vorstadt, dem ehemaligen Zentrum Münchens. Das Gebäude liegt unmittelbar an der Kreuzung zur Theresienstraße. Durch die straßenseitigen Fenster der besagten Wohnung war ein Parkhaus zu sehen, das genau dort erbaut wurde, wo in den 20er Jahren das Gebäude stand, in dem Adolf Hitler als Künstler ein Atelier unterhielt.

Es war der 19.April, ich denke ein Mittwoch, als ich vereinbarungsgemäß um 10 Uhr an der Tür des Verwalterbüros klopfte. Das Büro befand sich in einem palastartigen Bau der Versicherungsgesellschaft.

Ich hörte ein markiges, lautes ´Herein´ und betrat das Büro. Der recht große Raum enthielt neben einem imposanten Schreibtisch etliche Aktenschränke. Hinter dem Schreibtisch saß ein bulliger, untersetzter Mensch, ein typischer Bayer und deutete auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. Auf dem Weg von der Tür bis zum Schreibtisch beobachtete er mich intensiv.

Ich setzte mich auf den Stuhl und stellte sofort fest, dass dieser Stuhl um einiges niedriger war, als der Chef-Sessel des Verwalters.

Wegen der Sitzpositionen, sah der Verwalter von oben auf mich herab, ich hockte wie ein Huhn auf diesem Stühlchen und sah zum Verwalter hoch, der nur eine Frage stellte: ´Was ist morgen für ein Tag?´

Ich sagte: ´Donnerstag.´

´Nein, nein junger Mann, das Datum ist entscheidend.´

´Der 20. April´, sagte ich.

´Ich gebe ihnen mal einen Tipp. BRAUNAU.´

Ich hatte keine Ahnung worauf dieser Mensch aus war.

Ich sagte: ´Braunau, Braunau – das habe ich schon mal gehört.´

´Das ist der Tag unseres Führers.´ Sagte er mit seiner tiefen, lauten Stimme, lachte schallend und unterschrieb den Mietvertrag.

Und tatsächlich hatte ich nun ein sehr begehrtes Zimmer.

Ich hatte wirklich nicht den Wunsch zu studieren, eigentlich wollte ich, wie bereits erwähnt, als Globetrotter die Welt bereisen. Aber dennoch blieb ich und suchte und fand hier und da einen Job, wobei ich Wert darauf legte, nur kurzfristige Jobs anzunehmen. Es gelang mir mit dieser oder jener Tätigkeit in ein paar Tagen so viel zu erwirtschaften, so dass ich die folgenden zwei, drei Monate nicht mehr an die vermaledeiten, bunten Scheinchen zu denken brauchte.

Jahre zuvor hatte ich einen sechswöchigen Kursus in der Krankenpflege absolviert, und wurde in Folge in einem Klinikum, immer dann, wenn ich frei hatte und gewillt war, von der Pflegedienstleitung in Nachtwachen eingesetzt. Für mich war das ein sehr guter Job. Ich entschied immer, wann und wie lange ich zur Verfügung stand. Darüber hinaus war der Job durch hohe Nachtzuschläge und Wochenend-Zuschläge finanziell sehr attraktiv. Mit fünf Nachtwachen konnte ich den Finanzbedarf für einen Monat decken.

Dann war es wieder soweit, ich durchdachte, um welchen Job ich mich bewerben sollte. Den Pflegejob hatte ich seit einem Jahr nicht mehr ausgeübt und dachte, wenn die Münchener Kliniken den Job so entlohnen, wie die alte Klinik, an der ich beschäftigt war, dann gehe ich wieder in den Job.

Ich hatte viel Erfahrung im klinischen Pflegebereich und hatte daher gute Chancen schnell etwas finden zu können. Damals, in den 70-er war es tatsächlich so, dass man allein mit einem Telefonat eine Anstellung finden konnte. Also telefonierte ich mit verschiedenen Münchener Kliniken und fand eine Privatklinik, die von Ordensschwestern geleitet wurde. Die Schwester Oberin, die gleichzeitig auch Oberschwester im medizinischen Bereich war, suchte tatsächlich jemanden für die Nachtwache.

Sie fragte mich, ob ich bereit wäre, schon am kommenden Abend die Nachtwache anzutreten und ich sagte, zwar unvorbereitet, aber dennoch zu, einfach um die Gunst der Stunde zu nutzen.

Um 19 Uhr trat ich pünktlich zur Nachtwache an.

Die Schwester empfing mich und führte mich in den Seitentrakt mit den Worten: ´Ich stelle sie jetzt unserem Patienten vor, dem Herrn General.´

Ich dachte nur – dieser General ist mit Sicherheit vermögend, denn diese Privatklinik ist sehr teuer.

Gewöhnlicher weise habe ich ein sehr gutes Gedächtnis, aber heute weiß ich weder den Namen dieses Generals, noch den Namen dieser Klinik, geschweige denn, wo diese Klinik war.

Die Schwester öffnete die überbreite Tür und führte mich herein: ´Herr General, das ist Herr Nikolic.´

Der Herr General gab mir die Hand, nannte seinen Namen, ich stellte mich erneut vor. Die Schwester, zu mir gewandt, sagte:

´Folgen sie mir Herr Nikolic.´

Sie führte mich in das Medikamentenzimmer. Auf der Anrichte standen die Medikamente für die kommende Nacht bereit. Sie erklärte mir jedes einzelne mit dem Hinweis alle auf die Minute pünktlich zu verabreichen. Jede Erklärung bestätigte ich mit einem klaren, deutlichen ´Jawohl, Schwester.´ Zum Schluss deutete sie auf eine Ampulle, neben der eine Spritze und eine Kanüle lagen.

´Sehen sie, der Herr General hat starke Schlafstörungen, er muss aber eine erholsame Nachtruhe haben, er ist sehr krank. Wenn er unruhig wird, verabreichen sie ihm dieses Medikament, jedoch auf keinen Fall nach 23. Uhr.´ ´Jawohl, Schwester!´

´Sie dürfen auf keine Fall intravenös spritzen!´

´Das weiß ich Schwester.´

´Aber der Herr General hat eine Infusion liegen, sie ziehen das Medikament auf die Spritze und spritzen in die Infusionsflasche.´

´Jawohl Schwester.´

Sie brachte mich noch zum Zimmer, wünschte dem Herrn General noch eine angenehme Nachtruhe, mir eine ruhige Wache, und ging.

Herr General beobachtete mich intensiv und sehr aufmerksam, als ich einen gepolsterten Stuhl an das Fußende des Bettes stellte und mich setzte.

Ich bemerkte, dass der General das Bedürfnis hatte, zu erzählen und er begann auch sofort. In den folgenden drei Stunden erfuhr ich etwas über wichtige Ereignisse in seiner Vergangenheit, ich erinnere mich jedoch nur an das Wesentliche, das er zum Schluss erzählte. Ohne darauf einzugehen, was er mir erzählt hat, nur so viel:

Er sagte, er wäre der letzte General Hitlers gewesen, sozusagen der Drei-Tage-General. Hitler übertrug ihm die Verteidigung Berlins, das drei Tage später erobert wurde.

Es war anscheinend eine sehr belastende Erinnerung und als er beendet hat, verließ ihn die Anspannung und er lag ganz friedlich und ruhig da, aber hellwach.

Dann, nach ein paar Minuten befiel ihn eine sich steigernde Unruhe. Er wälzte sich hin und her und ich dachte – aha, jetzt ist es Zeit für die erwähnte Spritze.

Herr General begann zu klagen und ich sagte:

´Moment, Herr General, ich habe da etwas für Sie, die Oberschwester hat es angeordnet. Gleich geht es besser!´ Mit diesen Worten verlies ich das Zimmer und ging in den Medikamentenraum. Ich brach den Hals der Ampulle und zog das Medikament auf die Spritze, ging zurück, öffnete die Zimmertür schwungvoll, stand noch im Türrahmen, als der Herr General ein markiges, schallendes ´Halt´ rief. Ich blieb wie angewurzelt stehen, nahm unwillkürlich Haltung an, mit der Rechten die Spritze hochhaltend.

´Herr General, was ist denn los?´, fragte ich erstaunt.

´Sehen sie nach rechts´, sagte er laut, mit militärischer Intonation. ´Was sehen Sie?´

Ich sah nach rechts und sagte knapp ´Nichts.´

´Nach rechts unten, sie…… was sehen sie?´

Ich sah nach rechts unten und sagte laut und knackig: ´Nichts, Herr General.´

´Jetzt sehen sie nach links UNTEN. Was sehen sie?´

Ich tat wie befohlen, sah nach links unten und sagte: ´Nichts, Herr General.´

´Wissen sie was ich sehe?´

´Nein, Herr General. Was sehen sie denn?´

´Um ihre Beine tanzen rechts ganz kleine Engelchen und links tanzen ganz kleine, wuschelige Teufelchen.´

Ich sah langsam an mir herab um zu sehen, ob da unten nicht doch etwas los sei, sah aber nichts und sagte:

´Also, Herr General, Moment noch, ich habe da etwas für sie, gleich geht es besser.´

Ich ging zur Infusionsflasche, wollte das Medikament einspritzen und stellte fest, ich hatte blöderweise die Kanüle nicht aufgesteckt.

Mit den Worten: ´Ich habe etwas vergessen, Herr General, ich komme gleich zurück.´, verließ ich den Raum, ging in das Medikamentenzimmer, steckte die Kanüle auf und ging zurück. Ich öffnete schwungvoll die Zimmertür, stand im Türrahmen, als ich erneut ein markiges, schallendes ´Halt!´ vernahm. Wie zuvor nahm ich unwillkürlich Haltung an, und fragte:

´Herr General, was ist denn los?´

´Wissen sie was ich jetzt sehe?´

´Nein, was sehen sie Herr General?´

´Jetzt ist es umgekehrt. Jetzt tanzen die kleinen Engelchen links um ihre Beine, die kleinen wuscheligen Teufelchen tanzen rechts. Die haben die Plätze getauscht.´

Wie zuvor, zwar etwas mürrisch, aber dennoch sah ich an mir herab um zu sehen, sah aber nichts und sagte:

´Etwas Geduld, Herr General, gleich geht es besser.´

Ich spritzte das Medikament durch den Gummiverschluss in die Infusionsflasche.

Einige Minuten später schlummerte der General friedlich ein.

Ich schaltete die Hauptbeleuchtung aus, nur ein kleines Nachtlicht erhellte den Raum schwach. Ich setzte mich auf den gepolsterten Stuhl am Fußende des Bettes, stützte den Ellenbogen auf das Bett und schlief ebenfalls ein.

Gegen 3 Uhr in der Nacht spürte ich, wie Herr General mit der Fußspitze an meinem Ellenbogen wackelte, wurde wach und sagte: ´Ja Herr General?´

´Wissen Sie was? Ich habe ja wirklich nichts dagegen, das sie schlafen, aber schnarchen sie nicht so entsetzlich grausam. Ihr Schnarchen kann ja Tote wecken.´

Ich setzte mich mit dem Stuhl vom Bett weg, Herr General schlief ein und ich auch. Um 6 Uhr wachte ich auf, weckte den General, verpasste ihm eine Rasur und bezog das Bett neu.

Die Schwester kam herein, wünschte wohl gelaunt und beschwingt Guten Morgen und fragte mich danach, wie die Nacht verlaufen sei.

Ich sagte: ´Keine besonderen Vorkommnisse, Schwester.´ und ging.

Mit der U-Bahn erreichte ich die Max-Vorstadt, legte mich auf das Bett in diesem bereits erwähnten Zimmer und schlief bis zum Nachmittag. Ich gebe zu, ich war etwas, wie soll ich sagen, etwas zerwuselt, und als ich am Nachmittag aufstand war ich es immer noch. Nach einer heißen und hinterher eiskalten Dusche war alles o.k. Ich rief die Schwester Oberin an um am folgenden Abend erneut die Wache anzutreten.

Schwester Oberin sagte jedoch: ´Herr Nikolic, es ist nicht mehr nötig. Der Herr General hat uns, kurz nach dem sie gegangen sind, verlassen.´

Was soll ich noch sagen? Nur – dass ich mich seit langem daran gewöhnt habe, dass sich merkwürdige Begebenheiten immer wieder in meiner nächsten Umgebung ereignen.

Dinarin Aleksandar Nikolic“

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