Die zweite Runde der Tarifverhandlungen in der Stahlindustrie endete am Donnerstagabend nach gut drei Stunden ohne Ergebnis: Die Arbeitgeber beharren auf ihrem Angebot aus der ersten Verhandlung vor zehn Tagen: 3,1 Prozent mehr Geld, für eine Laufzeit von 15 Monaten (entspricht 2,48 Prozent umgerechnet auf 12 Monate).
Die IG Metall wies dieses Angebot als völlig unzureichend zurück. Die Forderung der Stahl-Tarifkommissionen der IG Metall für die 80 000 Beschäftigten in der nordwestdeutschen und ostdeutschen Stahlindustrie: 8,5 Prozent mehr Geld für eine Laufzeit von 12 Monaten. Sowie eine Verkürzung der Arbeitszeit von 35 auf 32 Stunden, um die Transformation sozial zu gestalten.
Tarifkommissionen beschließen Warnstreiks
„Die Arbeitgeber sahen sich heute nicht in der Lage, ihr Entgeltangebot aus der ersten Verhandlung zu verbessern. Zum Thema Arbeitszeitverkürzung gab es auch nichts“, kritisierte Knut Giesler, IG Metall Bezirksleiter NRW und Verhandlungsführer in der nordwestdeutschen Stahlindustrie.
Giesler zeigte sich zudem enttäuscht, dass die Arbeitgeber erst am 11. Dezember wieder verhandeln wollen. „Sie lassen unnötig Zeit verstreichen. In Zeiten der Unsicherheit haben wir aber keine Zeit zu verlieren.“
Um den Druck auf die Arbeitgeber zu erhöhen, haben nun die Tarifkommissionen der IG Metall für die nordwestdeutsche und die ostdeutsche Stahlindustrie am Freitagmorgen beschlossen: Am 1. Dezember, 0 Uhr, starten die Warnstreiks.
Konkrete Informationen zu den Warnstreiks bekommt Ihr von Eurer IG Metall vor Ort und von Euren IG Metall-Vertrauensleuten in Eurem Betrieb.
Forderung: 8,5 Prozent und 32-Stunden-Woche
Nach monatelanger Diskussion in den Betrieben haben die Tarifkommissionen der IG Metall-Vorstand im September die Stahl-Forderung der IG Metall beschlossen: 8,5 mehr Geld für eine Laufzeit von 12 Monaten (danach sind dann wieder neue Entgelterhöhungen möglich). Dies soll die hohe Inflation der vergangen Jahre ausgleichen.
Neben 8,5 Prozent mehr Geld fordert die IG Metall die schrittweise Verkürzung der Arbeitszeit von derzeit 35 auf 32 Stunden in der Woche. Die Transformation zu grünem Stahl wird in einigen Jahren zum Druck auf Beschäftigung führen. Denn nach der Umstellung auf die Direktreduktionsanlagen werden für die Stahlproduktion weniger Arbeitsstunden benötigt werden. Die IG Metall will diese Transformation sozial gestalten, indem weniger Arbeitsstunden besser auf die Beschäftigten verteilt werden – durch kürzere Arbeitszeiten, mit vollem Entgeltausgleich, um gute Arbeit zu sichern.
Kürzere Arbeitszeiten gut für Fachkräfte
Die Arbeitgeber der Stahlindustrie weisen die Arbeitszeitverkürzung zurück – mit Verweis auf den Fachkräfteengpass. Doch den haben sie sich aus Sicht der IG Metall selbst eingebrockt: Sie haben in den vergangenen drei Jahren bundesweit 7000 Stellen abgebaut.
Aus Sicht der IG Metall kann eine Arbeitszeitverkürzung der Stahlindustrie bei der Gewinnung von Fachkräften sogar nutzen.
„Eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Privatem hat gerade für junge Menschen eine sehr große Bedeutung. Kürzere Arbeitszeiten sind daher ein Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Branchen, wenn es um die Akquise neuer Mitarbeiter geht“, betont Dirk Schulze, Bezirksleiter der IG Metall in Berlin, Brandenburg und Sachsen und Verhandlungsführer in der ostdeutschen Stahlindustrie. Zudem führe Arbeitszeitverkürzung zu weniger Krankheitsausfällen und einer erwiesenermaßen höheren Produktivität.
Fragen und Antworten zur Stahl-Tarifforderung der IG Metall findet Ihr in unserem FAQ
Weiterer Fahrplan zur Stahl-Tarifrunde 2023
- 30. November 2023, 24 Uhr: Ende der Friedenspflicht. Danach sind dann Warnstreiks zulässig.
- 11. Dezember 2023: dritte Tarifverhandlung
In der saarländischen Stahlindustrie gelten eigene Tarifverträge mit anderen Laufzeiten. Hier sind die Entgelttarife erstmals zum 29. Februar 2024 kündbar.
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Hallo Gewerkschafter:innen,
hier ein Gedicht von Paul Haller (1882 bis 1920) dazu, dass in unsere kalte Zeit des sterbenden, wild um sich schlagenden Kapitalismus und dessen fatale (momentane) Folgen für die Arbeiterklasse passt:
Streik von Paul Haller
Zwischen kahlen Mauern ringt im Bette
Eine Mutter mit den Sorgenstunden,
Wartet fiebernd auf des Sohnes Taler,
Auf die blanken, die er hart erschunden.
„Sterben, o wie selig! Aber leben,
Leben muß ich für den einz’gen Jungen,
Für den guten, der so oft des Abends
Meiner Not ein Hoffnungslied gesungen.“
Draußen schwillt die Straße von dem Rauschen
Vieler Tritte. Dumpfe Männerstimmen
Hört sie schwirren zwischen engen Gassen
Und zu ihrem Fenster aufwärtsklimmen.
Schwer und zornig schreitet’s auf der Stiege,
Auf dem Gang, da tritt er in die Kammer:
„Keine Taler, Mutter, keine Freude,
Aber Hunger, Finsternis und Jammer!
Streik! wir streiken auf der ganzen Rhede!“
Weinend sinkt sie, von des Sohnes Armen
Fest umwunden, in zerwühlte Kissen:
„O mein Sohn, nun soll sich Gott erbarmen!
Aber ich will fluchen deinen Freunden,
Die der Frauen Leiden nie gelitten!“
Und nun quält sie seine trotzige Seele
Mit den mütterlichsten Liebesbitten,
Bis er geht. Er sieht die Kampfgenossen
Finster stehn und lauern. Sieht die andern
Schüchtern unterm Schutz von hundert Helmen,
Als Verfehmte auf die Arbeit wandern.
„Mutter, kehrt er wieder, deine Tränen
Können meine heiße Glut nicht dämpfen!
Keinen Bissen will ich fürder essen,
Doch mit meinen Brüdern laß mich kämpfen!
Für die tausend Brüder laß uns leiden,
Die noch kommen. Kämpfen, leiden, hoffen!
Bis der letzte Pfeil vom Sorgenbogen
Einer Mutter duldend Herz getroffen!“
Sieh! die kaltgehärmten Hungeraugen
Fühlt er da in rascher Glut erwarmen:
„Kämpfe für die Brüder! mich laß friedlich
Sterben hier in deinen Kindesarmen!“
Es ist Zeit, den Kampf unverdrossen aufzunehmen!
Franz-Willi Müller