Liebe Kolleginnen und Kollegen.
Unser Gewerkschafter/Innen-Arbeitskreis-(AK-) Mitglied Ralph Quarten (http://ak-gewerkschafter.com/?s=ralph+quarten) stellt Jean Ziegler
(https://de.wikipedia.org/wiki/Jean_Ziegler) als einen prominenten Globalisierungsgegner mit einem der Interviews vor, die Ziegler gegeben hat.
Ein herzliches Dankeschön an Kollegen Ralph Quarten dafür, dass er diesen Beitrag, den wir zu Eurer gefälligen Kenntnisnahme auf unsere Homepage gepostet haben, zusammengestellt hat.
Für den AK Manni Engelhardt –Koordinator-
Ralph Quarten präsentiert Jean Ziegler:
Massaker, Mord und Diktatur: Der prominente Globalisierungsgegner Jean
Ziegler spart in seinem neuen Buch nicht mit harscher Kritik an der
globalen Finanzoligarchie: “Die großen Konzerne haben heute mehr Macht als
es Kaiser oder Päpste je hatten.” Und: “Wenn TTIP in dieser Form
durchkommt, ist die entscheidende Schlacht verloren.”
Wirtschafts-Blatt: Der Untertitel ihres neuesten Buches heißt “Warum wir die
kannibalische Weltordnung stürzen müssen”. Was ist kannibalisch an der Welt?
Jean Ziegler: Erstens: Die totale Ungleichheit. Laut OXFAM-Bericht besitzen
ein Prozent der Weltbevölkerung so viele Vermögenswerte wie die restlichen
99 Prozent zusammen. Zweitens: In den 122 sogenannten Entwicklungsländern
stirbt alle fünf Sekunden ein Kind an Hunger, das ist ein tägliches
Massaker. Obwohl der World Food Report der UN bestätigt, dass die
Landwirtschaft heute zwölf Milliarden Menschen ernähren könnte, also
deutlich mehr als die aktuelle Weltbevölkerung. Das sind die Folgen der
globalisierten Diktatur des Finanzkapitals, unter der wir leben. Das ist
die kannibalische Weltordnung, die ich angreife.
Ich besitze auch Aktien. Bin ich deshalb ein Kannibale
Ziegler: Wenn Sie ihr erspartes Geld der Wirtschaft für Investitionen zur
Verfügung stellen, ist das sinnvoll. Aber es kommt natürlich auf das
Unternehmen an: Es muss Teil der Realwirtschaft sein und etwas sinnvolles
produzieren, also keine Waffen. Und wenn Sie viele Aktien besitzen und hohe
Dividenden kassieren, ohne zu arbeiten, dann kommen Sie in die Gefahrenzone.
Sind an jedem Kind, das in Afrika verhungert, die großen Konzerne schuld?
Ziegler: Die 500 größten Konzerne kontrollieren 52,8 Prozent des weltweiten
Bruttosozialproduktes. Die haben mehr Macht als ein Kaiser oder Papst je
hatte, das ist historisch einmalig.
Also sind diese Unternehmen schuld am Hunger in der Welt?
Ziegler: Ganz so simpel ist es nicht, es geht um die dahinter stehenden
Strukturen. Diese Konzerne funktionieren nach nur einem Prinzip: Der
Profitmaximierung, völlig ohne soziale oder politische Kontrolle. Dahinter
steckt ein System der strukturellen Gewalt. Ich kenne Nestle-Chef Peter
Brabeck-Letmathe, das ist ein hochanständiger Mann. Aber wenn er den
Shareholder Value nicht jedes Jahr um 15 oder 20 Prozent hinaufjagt, ist er
schnell weg. Das gilt für alle anderen Top-Manager auch. Deshalb gibt es
Börsenspekulation auf Grundnahrungsmittel, was deren Preise in die Höhe
treibt und Essen für viele Millionen Menschen unerschwinglich macht. Der
Preis für eine Tonne Weizen hat sich in den vergangenen fünf Jahren
verdoppelt. Dort werden gigantische Profite gemacht, ganz legal. Auch das
Agrar-Dumping der EU, das die Entsorgung von Überschüssen nach Afrika
subventioniert, verschärft das Problem. Dadurch kann man in Dakar je nach
Saison deutsches Gemüse um die Hälfte billiger kaufen als einheimische
Produkte, verrückt.
Wäre es besser, diese Lebensmittel zu vernichten?
Ziegler: Franz Fischler war ein sehr guter Landwirtschaftskommissar,
wahrscheinlich der beste, den es gegeben hat. Er hat die chemische
Entsorgung der Überschüsse erfunden. Doch da hat es einen öffentlichen
Aufschrei gegeben, woraufhin das Dumping wieder aktiviert wurde. Viele
afrikanische Bauern rackern sich auf ihren Feldern ab und haben nicht die
geringste Chance, auf ein Existenzminimum zu kommen. So produziert die EU
Hunger in Afrika. Und wenn die Flüchtlinge dann nach Europa kommen, werden
sie zurück ins Meer geworfen. Das ist absolut verlogen.
Hinzu kommt die totale Überschuldung der ärmsten Länder. Sie können kein
Geld in die Landwirtschaft investieren, weil alles bei den Gläubigerbanken
landet. Vergangenes Jahr sind in Schwarzafrika 41 Millionen Hektar
Ackerland von Konzernen mit Unterstützung der Weltbank aufgekauft worden.
Wenn dort sozial verantwortlich investiert werden würde, wäre das ja nicht
schlimm. Tatsächlich werden die Bauern aber vertrieben und es werden Blumen
und Lebensmittel angepflanzt, die dann nach Europa und in anderen Regionen
mit hoher Kaufkraft exportiert werden. Das ist reinster Landraub.
Was können nationale Regierungen dagegen tun?
Ziegler: Es gibt keinen Mechanismus, keine Struktur, die nicht von Menschen
gemacht worden ist – und deshalb auch von Menschen geändert werden kann. Es
gibt keine Ohnmacht in der Demokratie, diese wird uns nur eingeredet. Es
gehört zur neoliberalen Wahnidee, dass das Wirken der Marktkräfte ein
Naturgesetz ist, das man nicht ändern kann. Aber das ist falsch, das ist
Ideologie. Wenn der österreichische Finanzminister im Juni zur
Weltwährungskonferenz nach Washington fährt, hindert ihn nichts daran,
einmal nicht für die großen Gläubigerbanken zu stimmen, sondern für die
hungernden Kinder, also die Totalentschuldung der ärmsten Länder. Die
Börsenspekulation mit Grundnahrungsmittel kann morgen früh per Gesetz
verboten werden, wenn wir das wollen.
Ist es wirklich so einfach? Nicht die Politik schafft Arbeitsplätze,
sondern die Unternehmen. Dadurch haben sie automatisch eine gewisse Macht,
die sich per Parlamentsbeschluss nicht abschaffen lässt.
Ziegler: Die Unternehmen erbringen enorme Leistungen hinsichtlich
technologischer Entwicklungen, es gibt dort unglaubliches Wissen, das
bestreite ich nicht. Aber das darf nicht ohne Kontrolle geschehen. Die
Bilanzsumme der UBS ist drei Mal so groß wie das Nationalprodukt der
Schweiz – das ist lebensgefährlich für das Land.
Was kann eine Regierung dagegen tun?
Ziegler: In Frankreich hat das Parlament beschlossen, dass Unternehmen
keine Mitarbeiter kündigen dürfen, wenn der Betrieb Gewinn macht. Das ist
eine sinnvolle Maßnahme gegen die Arbeitslosigkeit. In Griechenland ist es
richtig, dass sich die Regierung wehrt. Mit dieser Verschuldung ist das
Land in zwei Monaten zerstört, wenn es keinen Schuldenschnitt gibt.
Der deutsche Finanzminister Schäuble würde dazu sagen: Wenn jemand 1.000
Euro im Monat verdient und regelmäßig 2.000 ausgibt, wird man sein Problem
nicht lösen, indem man ihm einmalig die Schulden erlässt. Hat er Unrecht?
Ziegler: Frühere Regierungen haben sich durch das gewaltige Ausmaß an
Korruption und der tolerierten Steuerflucht schuldig gemacht gegenüber dem
griechischen Volk, das ist absolut wahr. Aber die Zustände sind dort
wirklich dramatisch, die Menschen in Athen suchen in Abfalleimern nach
Nahrung, es herrscht echtes Elend. Und denen jetzt zu sagen, ihr müsst noch
mehr sparen, damit ihr der Deutschen Bank Zinsen zahlen könnt, das ist
zutiefst unmenschlich und bringt das Land um. Denn diese Banken sind ja
mitschuldig an der Situation. Die Banken haben großzügig Kredite vergeben,
obwohl sie wussten, dass die das Geld nicht zurückzahlen können. Das ist
eine Illegitime Schuld.
Ihr Buch ist sehr pessimistisch….
Ziegler: Nein, überhaupt nicht. Es entsteht gerade ein ganz neues Phänomen,
die planetarische Zivilgesellschaft, die sich gegen die Ungerechtigkeiten
und die Diktatur des Finanzkapitals wehrt. Beim Weltsozialforum in Tunis
kommen jetzt Vertreter von 8.000 Nicht-Regierungsorganisationen zusammen.
Das sind neue soziale Bewegungen, die gehorchen keiner Partei. Von Attac
bis zu Initiativen von Kleinbauern, da tut sich wirklich unglaublich viel.
Der nächste große Konflikt heißt TTIP. Wie wird das ausgehen?
Ziegler: Das ist das Armageddon, der Endkampf. Ich hoffe, dass TTIP nicht
kommt. Der Freihandel bringt viel weniger Wachstum als gedacht. Er bedeutet
aber umgekehrt, dass vieles, was erkämpft wurde, von Schutzbestimmungen für
Arbeitnehmer bis zu Qualitätsstandards für Nahrungsmittel und
Umweltauflagen, in Gefahr wäre. Wenn TTIP in dieser Form durchkommt, ist
eine entscheidende Schlacht verloren.
Via Jean Ziegler: „TTIP ist das Armageddon, der Endkampf“ «
WirtschaftsBlatt.at.
Euer
Ralph Quarten“