Liebe Kolleginnen und Kollegen,
als Gewerkschafter/Innen-Arbeitskreis (AK) pressiert uns das Thema PREKÄRE ARBEITSVERHÄLTNISSE seit Jahren, wie Ihr es unschwer nach dem Anklicken der hier stehenden Links aufrufen und nachlesen könnt.
Soeben hat uns zum Thema ein Stellunnahme erreicht. Ein sehr erschreckender, jedoch äusserst substanttierter Erfahrungsbericht, der zu Eurer gefälligen Kenntnisnahme auf unsere Homepage gepostet gehört.
Für den AK Manni Engelhardt -Koordintor-
********************************************************
Arno Breitenfels *)
VHS 2020, prekäre Arbeit und die Übermacht der Organisationen
Ein wesentliches Kerngeschäft der hiesigen Volkshochschulen besteht seit 2005 in der Durchführung von Integrationskursen. (1) Die Volkshochschulen verkörpern die öffentlich geförderte Bildung, sie genießen in der Weiterbildung deutschlandweit eine monopolähnliche Stellung. Programmatisch sind die Volkshochschulen seit ihrer Gründung 1919 an Emanzipation und Demokratisierung ausgerichtet. Bildung sollte nicht nur einer bessergestellten Elite zugänglich sein, sondern unabhängig von der Schichtzugehörigkeit allen Menschen.
Die Volkshochschulen finanzieren sich aus öffentlichen Mitteln und den Gebühren der Teilnehmenden. Sie sind nicht gewinnorientiert, sondern folgen dem Prinzip der Kostendeckung. Ihnen wird Gemeinwohlorientierung zugesprochen, denn gemäß den jeweiligen Landesbildungsgesetzen ist es ihre Aufgabe, ein bedarfsorientiertes und flächendeckendes Angebot zur Bildung und Qualifizierung in den Kommunen bereitzustellen. Dabei sind zahlreiche gesetzliche (Weiterbildungsgesetz, Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz, Sozialgesetzbuch, Zuwanderungsgesetz) und kommunale Vorgaben maßgeblich.
Entgegen dem positiven öffentlichen Image führt eine kritische, gesellschaftspolitische Betrachtung zu einer Entzauberung der VHS. Nimmt man die Perspektive der dort prekär beschäftigten Personen ein, ergibt sich ein wenig rühmliches Bild, das exemplarischein Kernproblem unserer Zeit offenbart: Die erhebliche Übermacht von (in vielen Fällen monopolistischen) Organisationen, Institutionen, organisierten Machtstrukturen und Netzwerken gegenüber dem „Einzelmenschen“.
Im Folgenden werden einige Aspekte des Problems organisationaler Übermacht und der fehlenden Repräsentanz von z. B. prekär Beschäftigten in gesamtgesellschaftlicher und innerorganisationaler Sicht am Beispiel der VHS erörtert. Die im Folgenden zu thematisierende Problematik betrifft allerdings einen weit größeren Personenkreis und ist auf eine Unzahl Marginalisierter übertragbar. Gefragt wird, was Gründe dafür sind, dass man die Interessen einer großen Zahl schlechter gestellter Menschen übergehen kann. Warum können die Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen und Partizipation einer Vielzahl von Menschen unberücksichtigt bleiben?
Ein Grund dafür ist, dass heute Produktivität fälschlicherweise formalen Organisationen, dem bürokratischen Apparat zugeschrieben wird, statt den arbeitenden Menschen. Institutionen gelten als Träger von Aktivitäten und Handlungen, als gesellschaftliche Großsubjekte, ihnen werden Erträge zugeschrieben, die sie nicht erwirtschaftet haben. Stattdessen wäre eine andere Sichtweise richtig: Die VHS, das sind ca. 188000 meist weibliche Lehrkräfte, die systemrelevante Bildungsarbeit (z. B. Vermittlung von Sprachkenntnissen an Geflüchtete) durchführen und sichern. (2) Dieser Sachverhalt, die tatsächlichen Quellen der produktiven Arbeit, verschwinden hinter Organisationsfassaden, er wird hinter legitimationswirksamen Selbstdarstellungen, öffentlichen Geschäftsberichten, Hochglanzbroschüren und medial vermittelter Imagepflege unsichtbar gemacht.
___________________________________________
(1) Wenn hier die männliche Form benutzt wird sind damit beide (alle?) Geschlechter gemeint. Die besondere Betroffenheit von Frauen wird durch Verwendung eines großen I kenntlich gemacht. (2) Anima Müller: Der Geist ist hungrig. Die Kassen leer. https://taz.de/100-Jahre-Volkshochschule/!5622967&SuchRahmen=Print . 18.9.2019.
___________________________________________
Die Volkshochschulen zählen zu den privaten Interessenregierungen. Ihre Existenz ist dem Sacherhalt geschuldet, dass der Staat sich im Laufe der Zeit immer mehr gesellschaftliche Funktionen einverleibt hat und diese z.B. an die VHS delegiert. Dazu ist zunächst ganz nüchtern festzustellen, dass diese Delegation nicht demokratisch legitimiert ist. Zu solchen quasi parastaatlichen, überwiegend aus Steuermitteln finanzierten Organisationen gehören auch der TÜV, die Kammern, große Stiftungen, Wissenschaftsorganisationen, wie die deutsche Forschungsgesellschaft und die überwiegend christlich dominierten Wohlfahrtsverbände. So kommt es, dass die christlichen Organisationen Caritas und Diakonie großen Einfluss haben und Konfessionslose am Arbeitsmarkt de facto diskriminieren können, sich ein repressives Arbeitsrecht leisten können, das im Fall von Scheidung Arbeitsplatzverlust in Aussicht stellt und Bilanzen nicht offenlegungspflichtig sind. Bei weitergehenden Kirchenaustritten und Finanzierung aus Steuermitteln wird so Gläubigkeit durch die überwiegend christlich geprägten Erziehungs- und Pflegeeinrichtungen von oben aufoktroyiert. Zudem heißt es in der Regel: Ohne Konfessionszugehörigkeit keine Arbeitsstelle. Dies – die Zurückdrängung des Einflusses der Kirchen und die Herbeiführung einer echten säkularisierten Gesellschaft – ist bedauerlicherweise ein Feld, in dem auch die Linke bislang nicht sichtbar etwas erreicht hat.
Für die Volkshochschulen und andere Bildungsträger gilt, dass die hochgelobte und vielzitierte Integrationsaufgabe in den allermeisten Fällen von weiblichen, prekär beschäftigten, akademischen Lehrkräften durchgeführt wird, die unterbezahlt sind, sich von einem kurzfristigen Vertragz um nächsten hangeln, im Krankheitsfall kein Geld verdienen und aufgrund solcher Arbeitsbedingungen stressbedingt mit einer erhöhten Anfälligkeit für Demenz zu rechnen haben (Cornelia Heintze 2017). Die Deutsch-Lehrkräfte bei der VHS und anderswo sind überwiegend zwangsselbständig, d. h. sie arbeiten als Honorarkräfte, sind darauf angewiesen, das ihre Verträge nach wenigen Monaten wieder verlängert werden und werden lediglich für geleistete Unterrichtsstunden bezahlt. Als Selbständige zahlen sie die kompletten Sozialversicherungsbeiträge selbst, im Krankheitsfall gibt es kein Geld und auch das Risiko von Kurs- und damit verbundenen Verdienstausfällen wird auf sie abgewälzt. Mit Altersarmut muss gerechnet werden.Weisungsgebundenheit ist im Unterschied zur Selbständigkeit Merkmal eines regulären Arbeitsverhältnisses. Nun arbeiten die DAF-Lehrkräfte aber keineswegs weisungsungebunden, denn weder Räume noch Teilnehmer werden selbst rekrutiert, Lerninhalte sind verbindlich vom BAMF vorgegeben und auch sonst erfolgt die Arbeit weisungsgebunden, meist viele Jahre für denselben Träger. Der Status der Selbständigkeit verschafft allein den Trägern Vorteile in Form von Flexibiliät und Kostenersparnissen.Die Nachteile dieser Beschäftigungsform, wie geringe Entlohnung, permanente Jobunsicherheit, enormer psychischer Verschleiß werden zur Gänze auf die überwiegend weiblichen Honorarkräfte übertragen.
Die Skandalisierung solcher Arbeitsverhältnisse ist u. a. deshalb schwierig, weil man es auch in diesem Bereich mit einer Übermacht von Organisationen bzw. institutionell verflochten Machtnetzwerken (BAMF, Kommunen, VHS etc.) zu tun hat, auf deren Entscheidungen kein Einfluss ausgeübt werden kann. Dieser Sachverhalt, des „nicht mit entscheiden könnens und nicht gefragt werdens“ im Hinblick auf alle wesentlichen Regulationsweisen dieser Gesellschaft und ihre Auswirkungen ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden, die den allermeisten in Fleisch und Blut übergegangen ist. Selbstverständlich haben die ausführenden Lehrkräfte keinerlei Mitentscheidungsrechte über das Was und Wie der Integration, geschweige denn über ihre Arbeitsbedingungen – all dies entscheiden Behörden über die Köpfe der Ausführenden und Betroffenen hinweg. Die Rede von Meinungsfreiheit, Partizipation und Demokratie täuscht darüber hinweg, dass man keinen Einfluss auf die Gestaltung wesentlicher Steuerungsweisen der Gesellschaft hat. So hat man „selbstverständlich“ keinen Einfluss auf die Entscheidung, welche Produkte auf den Markt kommen, wie diese beschaffen sind, wo Parkhäuser, Schienen, Straßen, Parks oder Firmen, etc. gebaut werden, was in der Schule unterrichtet wird und zu welchen Bedingungen Arbeit stattfindet etc.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der eine Ungleichheit hervorbringende undverstärkende, einseitige Aneignung und Monopolisierung von Leitungs- und Dispositionsmacht zugunsten der herrschenden Funktionseliten in den organisierten Systemen von Wirtschaft, Politik, Recht und Wissenschaft/Bildung erfolgt. Letztere haben sich sämtliche gesellschaftliche Funktionen, wie Kontrolle, Verteidigung, Schlichtung, Erziehung, Planung, Erforschung und Technikentwicklung angeeignet. Die Mehrheit hingegen wird von der damit einhergehenden Monopolisierung und Anhäufung ökonomisch (Einkommen, Profite, Kapital) und sozialer Chancen (Macht, Ansehen, Einfluss, Karrieren etc.) ausgeschlossen.
Über Organisationen wird bestimmt,wer überhaupt etwas zu sagen hat, wer was, wann, wie viel und wozu zu sagen hat, was jemand Wert ist und welches Ausmaß an Ansehen und Anerkennung ihm zukommt. Es gibt immer mehr Menschen, die in diesem Sinne nicht über werthaltige Organisationszugehörigkeiten (Mitgliedschaften bzw. Positionen) verfügen, sondern marginalisiert sind. Immer mehr Menschen sind von werthaltigen Organisationszugehörigkeiten ausgeschlossen und an den Rand gedrängt. Augenfällig ist, dass alle in der Gesellschaft unterprivilegierten Menschen in prekären Lagen entweder keinen Organisationen angehören oder sich dort auf den untersten Rängen befinden. Dagegen wird alle Macht, aller Wohlstand, alles Sozialprestige über Organisationen und die von ihnen bereitgestellten Spitzenpositionen vermittelt.
Solche organisationalen Spitzenpositionen werden nach wie vor überwiegend im Kontext männerbündischer Strukturen und Seilschaften nach dem Ähnlichkeitsprinzip vergeben, wenn gleich auch Frauen aus legitimatorischen Gründen verstärkt in den per se dünn gesäten Führungspositionen zu finden sind. Vorrang im Kampf um die Spitzenplätze in der Organisationshierarchie haben in jedem Fall bestimmte Mentalitäten und psychische Dispositionen, nämlich bürokratische Anpassungscharaktere die die notwendigen strategischen Machtspiele beherrschen. Solche Anpassungscharaktere sind als betriebswirtschaftliche Produktivitätsfanatiker, behördliche Organisationsfetischisten oder gewerkschaftliche Wettbewerbsverbesserer allseits bekannt.
Dagegen sind Mehrheiten von wesentlichen Entscheidungen und vorteilhaften Organisationszugehörigkeiten ausgeschlossen. Ihre Lebenslagen müssen nicht berücksichtigt werden. Die Übermacht von oligopolistischen und monopolistischen Organisationen und Verflechtungen, die erheblichen Kapital- und Machtkonzentration und daraus folgende materielle Ungleichheiten werden vielfach skandalisiert. Ungleichheit ist aber nicht nur ein ökonomisches Verteilungsproblem, sondern auch eines der mangelnden Repräsentation und Partizipation der Ausgeschlossenen. Warum also ist es möglich, dass die Belange einer Vielzahl von Menschen außen vorgehalten werden kann? Ökonomische und politische Randständigkeit ist kein Thema der Politik, sondern ein weitreichenderes Problem, welches vor allem mit expansiven Organisierungsprozessen und der damit einhergehenden systematisch ungleichen Aneignungund Monopolisierung von Kapital, Macht und Regulationskompetenzen – kurz: mit der Verschärfung von Herrschaftsverhältnissen zu tun hat.
Prekarität geht neben materieller Schlechterstellung auch mit dem Sachverhalt einher, dass die Belange, Forderungen und Bedürfnisse eines Großteils der Bevölkerung außen vor bleiben können und keinen Eingang in die politischen Arenen finden. Was sind Gründe dafür? Zu der Vielzahl der an den Rand gedrängten zählen inzwischen eine Unzahl von Marginalisierten. Das sind z. B. all diejenigen, die nicht über ein sicheres, gut bezahltes Anstellungsverhältnis in einer Organisation verfügen: Dazu zählen z. B. all jene Frauen bzw. Mütter die Reproduktionsarbeit (Erziehung, Pflege etc.) übernehmen. Entgegen gängiger Klischees und konträr zur aktuellen vielfach propagierten Politik der Mutterentbehrung sind Kind und Karriere in den allermeisten Fällen nicht vereinbar (Tazi-Preve 2018). Des Weiteren zählen dazu die Unzahl der prekär Beschäftigten und Arbeitslosen, Alte, Menschen mit körperlichen Einschränkungen, Personen, denen aufgrund von Herkunft bzw. kulturellem Hintergrund die westlich geprägte, rationale organisationale Handlungskompetenz nicht zu eigen ist.
Im Folgenden werden einige Gründe genannt, die dazu führen, dass neben materiellen Ungleichheiten auch Repräsentations-und Partizipationsprobleme entstehen. Viele Interessen und Bedürfnisse kommen im organisationalen Neoliberalismus nicht vor. Dieser Sachverhalt geht mit einer Verschärfung von Herrschaftsverhältnissen einher. Wie sich dies in Arbeitsverhältnissen niederschlägt, wird zum Schluss exemplarisch am Beispiel der VHS ausgeführt.
Organisierbarkeit
Ob Bedürfnisse oder individuelle Motive Eingang in die institutionellen Machtsphären finden, hängt von deren Organisierbarkeit und Thematisierbarkeit ab. Dabei ist das Verbände- bzw. Parteiensystem per se nicht als kraftvolle Bündelung der vielen Motive und Bedürfnisse der Menschen zu verstehen. Es werden vielmehr Probleme bearbeitet, die dem institutionellen System und den dort vorhandenen strukturellen Zwängen selbst entspringen. Hier sind die zahlreichen Berufsverbände (Ärzte, Bauern, Lehrer etc.) zu nennen und die zahlreichen Verbände im Bereich Politik, Wirtschaft, Kirche, Bildung etc. die als Agenten der Interessen ihrer Klientel fungieren. Insgesamt ist aber nur kleiner Teil der Bevölkerung überhaupt verbandsmäßig repräsentiert.
Randständige Bevölkerungsgruppen sind nicht repräsentiert, weil ihre Interessens (Ressourcen) durchsetzungsschwach sind. Bedürfnisse sind lediglich dann organisierbar, wenn sie konfliktfähig sind, also wenn man Ressourcen ins Spiel bringen oder zurückhalten kann, die das System empfindlich stören können. Konfliktfähig sind Positionen dann, wenn eine Leistungsverweigerung glaubhaft angedroht werden kann. Dies ist bei Streiks der Fall, wenn mit dem Vorenthalten der Arbeitskraft in großem Umfang gedroht werden kann, oder wenn damit gedroht werden kann, dass politische Entscheidungen der eigenen Klientel vorenthalten werden und deren Zustimmung zu Vorhaben nicht erfolgt. Sensible Ressourcen in dieser Hinsicht sind neben Arbeitskraft auch Energie, Geld oder Wählerstimmen. Die Bedürfnisse und Interessen von prekär Beschäftigten, MigrantInnen, Müttern, Alten, Arbeitslosen und Menschen mit Einschränkungen sind nicht machtvoll und schlagkräftig organisierbar, weswegen sie keine Lobby haben. Im Gegensatz zu den starken Akteuren und der Dominanz des Wirtschaftslobbyismus, mit ihren Anwaltskanzleien und Beraterfirmen in Berlin und Brüssel verfügen diese Gruppierungen weder über die entsprechenden Einflusskanäle noch über die Ressourcen, jeweils professionell national, europäisch oder international durch Kampagnen, Aktionen oder Medienaktivitäten überall präsent zu sein und der Übermacht de rorganisierten, machtvollen ökonomischen und politischen Interessen etwas entgegenzusetzen.
So kommt eine Situation zustande, in der sich eine Vielzahl von Menschen alles Erdenkliche gefallen lassen muss. Ihre Interessen und Bedürfnisse können außer Acht gelassen werden.
U. a. die VHS-Lehrkräfte müssen mit einer entsolidarisierenden Arbeits-und Konkurrenzsituation zurechtkommen. Es besteht ein großes Angebot an qualifizierten Lehrkräften und Verdienstausfall bei Streiks ist selbst zu finanzieren. Folglich sind deren Belange bzw. Forderungen (Ressourcen) durchsetzungsschwach, sie können weitgehend übergangen werden.
Thematisierbarkeit
Die organisierten Machtnetzwerke dieser Gesellschaft sind gegen außen abgeschottet, sämtliche Akteure treten als Agenten anderer Organisationen bzw. Interessenverbände auf. In diesem institutionellen Bereich werden. Seilschaften geknüpft, Verträge geschlossen, Verpflichtungen eingegangen und Verhandlungsergebnisse erzielt. Der allergrößte Teil der Bevölkerung nimmt dabei nur randständige Rollen ein: Als Publikum, medienvermittelte Beobachter des politischen Geschehens, als Mitglied, als Wähler-, Erwerbsperson, Kunde oder in Aktionärsrollen. Nur der institutionelle Bereich entscheidet, was als vertretbares Interesse gilt, was thematisiert werden kann. Ob die Rentenversicherungsbeiträge zu niedrig oder zu hoch sind, beurteilen die Beitragszahlenden keinesfalls selbst, und wenn sie es tun ist dies ohne Folgen, solange es nicht Organisationen gibt, die aus der Thematisierung für sich Vorteile beziehen können. Dies könnten politische Parteien, Ärzteverbände, die Versicherungswirtschaft, der Bund der Steuerzahler oder diePharmaindustrie sein. Zu welchen politischen Entscheidungen Thematisierungen führen, entzieht sich ebenso dem Einfluss der Betroffenen, die ja auch nicht am Runden Tisch sitzen.
Neben der Frage, ob es machtvolle Organisationen gibt, die aus Thematisierungen Gewinn schlagen können, unterliegt die Thematisierung weiteren beschränkenden Bedingungen: Ob ein Anliegen in der politischen Arena vertreten wird, hängt von den aktuellen politischen Konflikt-und Machtkonstellationen ab, von strategischen Durchsetzbarkeiten, internationalen Trends, der Verwertbarkeit von den Medien, politisch-diskursiven Moden etc. So stehen aktuell Nachhaltigkeit, Gender und Identitätspolitik hoch im Kurs aber kaum mehr die Forderung nach Lohn für Hausarbeit.
Aus der Thematisierung der Anliegen der Deutsch-Lehrkräfte kann bislang offenbar –trotz langjährigem, beharrlichem Protest, der vor allem vom Bündnis der Daf/DaZ-Lehrkräfte ausgeht (3) – keine machtvolle Großorganisation für sich Gewinn schlagen. Wer sollte das auch sein? Arbeitnehmernahe Parteien fühlen sich in erster Linie der stetig schrumpfenden Gruppe der Arbeitnehmer in Normalarbeitsverhältnissen verpflichtet, bei der einschlägigen Gewerkschaften (GEW) ist die Vertretung der großen Gruppe der Lehrer an staatlichen Schulen vorrangig und die involvierten Ministerien und Behörden können sich im Zuge der üblichen organisational-institutionellen Verantwortungsdiffusion aus der Verantwortung stehlen. Dank Corona kann zukünftig einmal mehr auf leere Kassen verwiesen werden.
Wie sich die entsprechende Randständigkeit auf die Arbeitsverhältnisse im öffentlichen Auftrag auswirkt, soll im Folgenden abschließend exemplarisch umrissen werden.
Günstlingswirtschaft
Günstlingswirtschaft und Filz und Klüngel nehmen aufgrund organisationaler Machtkonzentrationen und der neoliberalen, rechtlichen Privilegierung der Mächtigen im Kleinen wie im Großen zu. Im Kleinen stellt sich das bei der VHS wie folgt dar: Unterschiedliche dotierte Sprachkurse, Vertretungen und die z. T. lukrativen Prüfungen nwerden nach undurchsichtigen, nicht nachvollziehbaren Kriterien vergeben. Zwar bemüht man sich um Kontinuität und bekommt meist den bereits zuvor zugeteilten Auftragsumfang. Dennoch schwingt die Angst um den Verlust von Folgeaufträgen, Beschäftigungslücken und Kursausfällen mit, die stets zulasten der Lehrkräfte gehen. Diese haben dann in Zeiten ohne Auftrag schlicht kein Einkommen. Diese Rechtlosigkeit aufseiten der Lehrenden eröffnet der Günstlingswirtschaft Tür und Tor. Welches Verhalten sich gegenüber dem zuteilenden Verwaltungspersonal auszahlt, ist evident. In jedem Fall Freundlichkeit und „Gesichtspflege“, sprich: stetiger persönlicher Kontakt um sich für eine potentielle Auftragsvergabe im Spiel zu halten. Zudem schaffen gleiche Hobbys, gleiche Herkunft oder gleiches Parteibuch Berührungspunkte, die sich positiv auf die Auftragsvergabe auswirken könnten. Umgekehrt gilt: Wer mehrfach durch Widerspruch auffällt, riskiert die Existenz zuverlieren. In strukturschwachen Gebieten gibt es aufgrund der Monopolstellung des Auftraggebers kaum die Möglichkeit, woanders die gleiche Tätigkeit auszuüben.
____________________________
____________________________
Verantwortungsentlastung auf dem Rücken der Lehrkräfte
Wie bereits erwähnt, erlaubt es der Zwangsstatus Selbständigkeit dem Auftraggeber, mit der Beschäftigung verbundene Risiken und negative Effekte der Beschäftigung auf die Selbständigen zu übertragen. Die Lehrkräfte sind ständig „an der Front“ und bei einer Vielzahl von problematischen, traumatisierten Teilnehmern sich selbst überlassen. Die Lehrkräfte müssen de facto auch psychologische Betreuung leisten, da viele Teilnehmende meist keine anderen Ansprechpartner in Deutschland haben. Eine Supervision oder Ähnliches findet nicht statt. In vielen Fällen ist eine Überforderung bzw. Überfrachtung mit den Problemen der Zugewanderten unvermeidlich bzw. wird billigend in Kauf genommen. Dazu heißt es dann lediglich lapidar, man solle sich abgrenzen.
Während Ämter in der Coronazeit den Publikumsverkehr einstellen, ist Arbeits-und Gesundheitsschutz für die Lehrkräfte eine Fehlanzeige. Die Lehrkräfte stehen weiterhin im persönlichenNahkampf, werden mit Anträgen, Fragen von Teilnehmern überhäuft und sind so hohen Gesundheitsrisiken ausgesetzt. Wer das nicht will, kann auf eigene Kosten den Unterricht einstellen.
Vorrang wirtschaftlicher vor pädagogischen Zielen
Obwohl keine Gewinne erwirtschaftet werden dürfen, ist die Wirtschaftlichkeit der Kurse oberstes Ziel, um Kostendeckung für den Träger zu erreichen. Priorität hat die kontinuierliche Anwesenheit möglichst vieler Teilnehmer, denn auf der Basis der geleisteten Unterschriften der Teilnehmer werden die Kurse abgerechnet. Von den Lehrkräften wird von daher neben fachlichem Know-How vor allem Freundlichkeit und möglichst kreativer, keinesfalls aber leistungsorientierter Unterricht erwartet. Dies bei einem vorgegeben Lernpensum (BAMF-Vorgaben), das in dem vorgegebenen Zeitplan per se nicht zu schaffen ist.
Wesentlich ist, dass die Teilnehmer vor allem wiederkommen und nicht durch Leistungsdruck frustriert werden. Den Lehrkräften stehen keine Mittel der Sanktionierung zur Verfügung: Keine Hausaufgaben, nicht gelernte Wörter, schlechte Leistung – kein Problem. Prinzipiell sind Deutsch als Fremdsprache – Lehrkräfte offene und sympathische Menschen und Freundlichkeit ist angesichts der z.T. grauenvollen Erfahrungen der Zugewanderten selbstverständlich. Allerdings untergräbt es die Autorität der überwiegend weiblichen Lehrkräfte, keinerlei Sanktionsmöglichkeiten im Hinblick auf den Umgang mit einer passiven Lernhaltung zu haben. Aus der Perspektive des Trägers ist dies allerdings überwiegend vorteilhaft, denn ihnen erwächst daraus auch international ein positiver, menschenfreundlicher Ruf. Dies auf dem Rücken der Lehrkräfte, die der Trägheit mancher Teilnehmer mit noch mehr Motivierung bzw. interessanterem Unterricht begegnen sollen, umso noch einen Rest von Leistungsbereitschaft herauszukitzeln. Fühlt der Teilnehmer sich nicht wohl, erfolgt des Öfteren eine Beschwerde über die Lehrkraft, was in wiederholtem Fall dazu führt, dass die Lehrkraft nicht weiter beschäftigt wird. Dann heißt es nur lapidar, XY kommt nicht mit den Teilnehmern zurecht. Solidarität unter KollegInnen entsteht nicht, denn jede/r fürchtet um seine bzw. ihre kleinen Pfründe. Die Konkurrenzbeziehungen unter KollegInnen führen dazu, dass kein produktiver Austausch stattfindet und Wissen und Berufserfahrung zum individuellen Betriebsgeheimnis werden.
Unbezahlte, entgrenzte Arbeit erwünscht
Bemutterung, großes persönliches Engagement auch über den Unterricht hinaus ist erwünscht. Unbezahlte Arbeit, nicht bezahlte Vor-und Nachbereitung wird vorausgesetzt. Die typisch weibliche Tendenz zur Selbst-und Überausbeutung kommt den Trägern entgegen, wirft sie doch ein gutes öffentliches Licht auf den Träger, sodass das positive Image des Trägersweiter gepflegt wird.
Arbeiten ohne Verantwortung des (de facto) Arbeitgebers
Personalentwicklung erübrigt sich aufgrund der Selbstständigkeit. So macht man unter Umständen jahrelang das gleiche, weil seitens der VHS keine Notwendigkeit besteht, etwas für die Weiterentwicklung des „Humankapitals“ der Lehrkräfte zu tun. Zudem ist eine gewisse behördliche Trägheit im Hinblick auf die Rekrutierung neuer, anderer Kurse zu beobachten. Diese Trägheit schlägt unmittelbar in fehlende Einkommensmöglichkeiten der Lehrkräfte durch. Fortbildungen werden erwartet, gehen aber nicht mit einer Verbesserung beruflicher Perspektiven einher und werden auch nicht vergütet.
Arroganz der Macht
Integration wird allseits als Schlüsselaufgabe dieser Gesellschaft betont. Tatsächlich will von denjenigen, die selbige durchführen, niemand etwas darüber wissen. Es herrscht Einbahnstraßenkommunikation. Auch Konferenzen dienen lediglich der einseitigen Instruierung der Lehrkräfte über neue Anforderungen, Verordnungen etc. Meinungen und Erfahrungen der Selbständigen sind nicht von Interesse. Zwischen Lehrkraft und VHS-Personal tut sich eine Machtspreizung auf, die von Ohnmacht, Vertragslosigkeit, existenzieller Unsicherheit und psychischem Verschleiß einerseits und einem gut dotierten sichern Anstellungsverhältnis in einer Behörde mit Quasi-Monopolstellung andererseits geprägt ist. Dieses Machtgefälle geht bei Meinungsverschiedenheiten mit autoritärem Gebaren, Ignoranz oder Aussitzen der Belange der Lehrkräfte einher. Ein herablassender Tonfall bei unliebsamem Verhalten ist üblich. In vielen Fällen erfolgt bei Meinungsverschiedenheiten zügig die „Kündigung“. Dies kann auch zur Nicht-Beschäftigung bei anderen Trägern führen, denn der Entsolidarisierung und Individualisierung aufseiten der Selbständigen stehen gute Verbindungen und eine dichte organisational-institutionelle Vernetzung aufseiten der lokalen „Bildungsakteure“ gegenüber: Man kennt sich, man tauscht sich aus.
Heuchlerische Quotendiskussionen gilt es zu entlarven, solange prekäre Arbeit und Armut vor allem weiblich ist und die Prekarisierung der weiblichen Erwerbsarbeit unverhohlen im öffentlichen Auftrag erfolgt. Erhöhung der Honorare, eine mindestens hälftige Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge und vor allem feste Anstellungsverhältnisse wären dringend erforderliche Schritte, die aus der entrechteten Situation herausführen könnten.
Heintze, C.2017: Prekäre Arbeit im Bildungswesen. Ausmaß, Entwicklung undgesundheitliche Folgen. In: Die Deutsche Schule4/17. Tazi-Preve2018: Das Versagen der Kleinfamilie. Kapitalismus, Liebe und Staat. Opladen.
**********************************************************
*) Arno Breitenfels ist ein Pseudonym. Die dahinterstehende Person ist der Redaktion mit echten Vor-, Zunahmen und Wohnadresse bekannt.
Für den AK Manni Engelhardt -Koordinator-
Willibert Münch
Das ist in der Tat eine erschütternde Veröffentlichung. Ich hätte nie gedacht, dass eine derartige Heuchelei und die Verkleisterung der wahren Sachverhalte hinter der Fassade der biederen Volksbildungseinrichtung so stattfinden.
Es ist für mich erstmalig, über derartiges zu lesen. Wo bleibt hier die GEW?
Dazu von mir vier Worte:
SCHLIMMER GEHT ES NIMMER!
Karin Hilgers
Simone Leistner:
Schon vor längerer Zeit sind die Volkshoschulen in die öffentlich Kritik geraten. In diesem Zusammenhang sei auf die Beiträge im Magazin DER SPIEGEL aus 2018 verwiesen. Die damalige Kritik und die Stellungnahme des Bundesverbandes der VHS findet ihr hier:
https://vhs-in-hessen.de/Artikel/cmx5b7bebede83da.html .