DAS BUNDESARBEITSGERICHT TITELT: „BAG: Tarifwidrige Betriebsvereinbarung und gewerkschaftlicher Beseitigungsanspruch“
BAG-Urteil vom 17.05.2011 mit dem Az. : 1 AZR 473/09 (Quelle: Pressemitteilung des BAG vom 17.05.2011)
Ein Kommentar unseres AK-Koordinators Manni Engelhardt
In Deutschland steht fest, das Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifverträge geregelt sind, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein dürfen.
Wird trotzdem eine solche Betriebsvereinbarung geschlossen, so beeinträchtigt diese die durch Artikel 9 Abs. 3 Grund Gesetz (GG) geschützte kollektive Koalitionsfreiheit der tarifschließenden Gewerkschaft.
Gegenstand des Verfahrens war, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten Mitglied in einem Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie war, und in ihrem Unternehmen die tariflich vereinbarte 35-Stunden-Woche galt. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten setzte Anfang 2006 mit einer Betriebsvereinbarung (Betriebsvereinbarung muss mit dem Betriebsrat der Rechtsvorgängerin der Beklagten abgeschlossen worden sein, was nach meiner Meinung tief blicken lässt! L) die 35-Stunden-Woche außer Kraft und führte die 40-Stunden-Woche ein. Als Ausgleich dafür wurde ein Anspruch auf einen leistungsorientierten und erfolgsabhängigen Bonus vereinbart.
Hiergegen klagte, wie ich meine mit Recht, die Gewerkschaft IG-Metall.
Die Klage war zweistufig aufgebaut:
1. Beseitigung der verursachten Beeinträchtigung der kollektiven Koalitionsfreiheit:
2. Individuelle Vergütung der über die 35-Stunden-Woche geleistete Mehrarbeit.
Man sollte annehmen, dass es doch eine Selbstverständlichkeit sein muss, dass diese widerrechtlich, an das Sklavenhalterzeitalter erinnernde Ausbeutung der Mitarbeiter durch nicht bezahlte Überstunden, im Nachgang dann doch vergütet werden muss.
Aber „Pustekuchen“, der erste Senat des BAG sah das ganz anders.
Was die Beseitigung der verursachten Beeinträchtigung der kollektiven Koalitionsfreiheit anbelangt, gab er der Klägerin recht.
Die Frage nach der individuellen Vergütung verneinte jedoch der erste Senat!
In seiner Begründung dieser für mich nicht nachvollziehbaren Entscheidung wies er u. a. darauf hin, dass der Eingriff in die durch Artikel 9 Abs. 3 GG geschützte Betätigungsfreiheit der Gewerkschaft nicht in der Vorenthaltung tarifwidriger Leistungen, sondern im Abschluss der tarifwidrigen Betriebsvereinbarung liegt.
Da „brate mir jemand einen Storch“; das ist für mich der Gipfel der abstrusesten Entscheidungen eines BAG-Senates.
Damit ist für viele „Unternehmer“ jetzt folgendes klar:
„Verhalte dich mit Deinem Betriebsrat gesetzeswidrig; denn wo kein Kläger, da kein Richter! Wo aber ein Richter ist, gibt er den Ausgebeuteten zwar Recht, in dem er den Gesetzesverstoß per Urteil ahndet und aufhebt; der damit aber über lange Zeiträume gemachte Ausbeutungsgewinn, bleibt aber in meiner Tasche!“
Dieses Urteil passt wieder einmal prima in die „Landschaft der Bananenrepublik Deutschland“!
Seltsames Urteil !
Aber auch wenn das BAG die Forderung der IGM auf individuelle Vergütung verneint, bedeutet das m.E. nicht den kompletten Verlust der Ansprüche des Einzelnen. Mit dem Erlangen der Kenntnis am 17.05.2011 über die Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung beginnen Verjährungsfristen. So geschen im Urteil zu Tarifverträgen der CGZP. Innerhalb dieser Fristen kann jeder Betroffene per fristgerechter Klageeinreichung zumindest Ansprüche vom 01.01.2008 bis zum Ende der unwirksamen BV geltend machen. Dafür bedarf es aber der unbedingten Unterstützung der zuständigen Gewerkschaft.
Meine Meinung als juristischer Laie.
MfG Jens-Uwe
Guten Morgen lieber Kollege Jens-Uwe,
in der Tat ein seltsames Urteil! Sofern hier niemand Verfassungsbeschwerde einlegen wird, hat dieses BAG-Urteil Bestandskraft.
Insoweit ist der Verlust des kompletten geldwerten Anspruchs der Betroffenen höchstrichterlich „zementiert“. Die Negativentscheidung des BAG bezüglich dieses Teiles der Anspruchsbegehren ist somit für alle Instanzenebenen der Arbeitsgerichtsbarkeit bindend.
Deswegen hlte ich meinen oftmalig getätigten Ausspruch „BANANENREPUBLIK DEUTSCHLAND“ vollumfänglich aufrecht.
Mit kollegialen Grüßen
Manni Engelhardt
NB. Besten Dank noch einmal für Deinen qualifizierten Kommentar.
Zitat aus der Pressemitteilung des BAG:
„Für den davorliegenden Zeitraum kann die Gewerkschaft nicht den Ausgleich der den Arbeitnehmern entstandenen Entgeltnachteile als Schadensersatz verlangen.“
Das bedeutet m.E. nicht den Verlust der Ansprüche des Einzelnen. Jeder Betroffene sollte für sich abwägen ob er Schadensersatzansprüche geltend machen kann, da das BAG lediglich die Ansprüche der Gewerkschaft auf Schadenersatz ausgeschlossen hat.
Und sorry, die Gewerkschaft hat sich bei der Klage reichlich dämlich angestellt.
Eine Beschränkung der Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung hätte ausgereicht und jedem Betroffenen den Weg zur Geltendmachung seiner Ansprüche geebnet.
MfG Jens-Uwe