SCHWARZFAHREN – EIN DELIKT AUF DEM PRÜFSTAND beim Landgericht Aachen! Wir rufen zur Solidarität mit dem Betroffenen und zur Teilnahme am Verfahren auf!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

als Gewerkschafter/Innen-Arbeitskreis (AK) sind wir auf das Berufungsverfahren (Strafprozess)  „SCHWARZFAHREN – EIN DELIKT AUF DEM PRÜFSTAND“ aufmerksam gemacht worden.

                  

(In Indien wohl kein Problem! Foto aus https://www.stupidedia.org/stupi/Schwarzfahren)

Der Prozess findet am Freitag, den 24. Juni 2022, am Landgericht Aachen (Justizzentrum), Adalbertsteinweg 92, 52070 Aachen ab 09.00 Uhr im Saal A 1.010 statt.

(Foto aus https://de.wikipedia.org/wiki/Landgericht_Aachen)

Wir rufen zur Teilnahme an diesem Verfahren auf und belichten dessen Hintergrund nachstehend:

Vorbemerkungen:

Die soziale Ungerechtigkeit der Bestrafung des sogenannten Schwarzfahrens ist durch etliche Berichte und Studien längst ausreichend belegt.
Die Bundesregierung plant daher eine Korrektur des § 265a im Strafgesetzbuch. Immer lauter werden zudem die Forderungen, das Ticketwesen ganz abzuschaffen und eine gleichberechtigte Mobilität per Nulltarif zum Grundbedürfnis zu erklären.

Doch in der Praxis hält die Neigung vieler Gerichte, Menschen ohne Fahrschein abzuurteilen, weiter an. Besonders absurd wird das, wenn selbst solche Fahrgäste, die in Zügen für eine Abschaffung der Strafbarkeit und die Einführung des Nulltarifs demonstrieren, bestraft werden sollen. Genau das machte das Amtsgericht Düren, als es einen sogenannten Aktionsschwarzfahrer verurteilte. Das sind Menschen, die in Bussen und Bahnen bewusst ohne Ticket unterwegs sind, dieses auch offen zeigen und für den Nulltarif sowie eine Verkehrswende demonstrieren. Obwohl nur das heimliche Schwarzfahren strafbar ist, werden sie angeklagt – und oft sogar verurteilt. In einem solchen Fall muss nun das Landgericht Aachen in zweiter Instanz neu verhandeln.

Hintergrundbeschreibung:

Gerichte und Staatsanwaltschaften stöhnen über die Arbeitsbelastung. Immer wieder belegen Statistiken, dass vor allem Menschen mit geringem Einkommen vor Gericht und in Gefängnissen landen. An kaum einem Strafparagraphen lässt sich das besser belegen als an der sogenannten „Erschleichung von Leistungen“, einem von den Nationalsozialisten im Jahr 1935 geschaffenen Norm, die ein täuschendes Verhalten zwecks finanziellem oder materiellem Vorteil unter Strafe stellt.
Auch wenn viele weitere Delikte hiervon erfasst werden – angewendet wird er fast nur für das sogenannte Schwarzfahren, der Nutzung von Bus oder Bahn ohne Ticket. Das geschieht sehr häufig. Schwarzfahren ist in den vielen großen Städten das häufigste Strafdelikt. Ca. 7000 Menschen sitzen durchschnittlich wegen dieses Delikts im Gefängnis – mit oft brutalen Folgen wie dem Verlust des sozialen Umfelds, der Wohnung, der Arbeit.

Dabei ist schon die Rechtsgrundlage unklar. In der juristischen Fachwelt bestehen nämlich erhebliche Zweifel, ob das Fahren ohne Ticket allein schon eine aktive Täuschung darstellt. Anders als die Jura-Wissenschaft haben Gerichte das aber bejaht und dafür die Kunstfigur des „Anscheins der Ordnungsmäßigkeit“ erfunden. Fahrgäste ohne Ticket würden sich gezielt so verhalten, als hätten sie ein Ticket – in dem sie nichts tun. So konstruierten Gerichte das aktive Nichtstun – ein Paradox, welches aber typisch ist für den juristischen Blick auf gesellschaftliche Ereignisse. Der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht haben diese Rechtsprechung abgesegnet – und Gerichtssäle, Aktenordner und Gefängnisse damit gefüllt. Mensch müsse seine Ticketlosigkeit schon offen zur Schau stellen, um nicht bestraft zu werden, stand in den Urteilen.
Genau das machen die Aktionsschwarzfahrer*innen.

Sie betreten Busse und Bahnen, machen mit Schildern, Flyern und auf andere Art darauf aufmerksam, keine Fahrkarte zu besitzen. Vor allem aber werben sie für die Streichung des Schwarzfahrparagraphen, die Einführung des Nulltarifs und eine konsequente Verkehrswende. Von „Erschleichung einer Leistung“ kann bei ihnen keine Rede mehr sein. Doch auch diesmal werden die Strafverfolgungsbehörden ihrer Rolle in einem auf wirtschaftliche statt soziale Ziele ausgelegten Gesellschaftssystem gerecht. Dass eine gesetzliche Grundlage für die Verurteilung von offensiv ohne Ticket fahrenden Menschen fehlt, stört sie nicht. Mit viel Phantasie wurde die Heimlichkeit selbst in auffälligste Aktionsschwarzfahren hineinprojiziert. Selbst bei Fahrten als Gruppe, bei der alle ein Schild trugen und für den Nulltarif warben, wurden Anklagen erhoben und Verurteilungen ausgesprochen.
So auch im aktuellen Fall. Das Urteil des Amtsgerichts Düren benennt das auffällige Verhalten des Angeklagten sogar eindeutig:
Trotzdem hat es das Urteil ausgesprochen. Dagegen hat der Betroffene Berufung eingelegt, weshalb es jetzt zur zweiten Instanz in Aachen kommt.

weiter Infos

    Kontakt zum Verteidiger:
    Jörg Bergstedt, 06401-903283, ab Freitag 01575-8461661, joerg@projektwerkstatt.de
    Informationsseiten mit den politischen Zielen des Aktionsschwarzfahrens, Gesetzestexten, -kommentaren und Urteilen der Vergangenheit:
    http://schwarzstrafen.siehe.website

Weiteren Beitrag findet Ihr hier: https://kraz-ac.de/schwarzfahren-ein-delikt-auf-dem-pruefstand-8364 !

Als AK rufen wir zur SOLIDARITÄT mit dem Betroffenen und zur Teilnahme am Prozess auf!

Für den AK Manni Engelhardt -Koordinator-

                              

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4 Antworten zu SCHWARZFAHREN – EIN DELIKT AUF DEM PRÜFSTAND beim Landgericht Aachen! Wir rufen zur Solidarität mit dem Betroffenen und zur Teilnahme am Verfahren auf!

  1. Birgit Heitmann sagt:

    Öffentliche Verkehrsmittel sollten für alle kostenlos sein. Dann gelingt auch endlich der massenhafte Umstieg vom Auto in die Bahn. Die Luft wird reiner, die Städte ruhiger, und die Verkehrsunfälle seltener.

  2. Thomas Ziegler sagt:

    Thomas Ziegler aka biopilz sagt:

    +++ Fortsetzungs-TERMIN: AACHEN LANDGERICHT Mittwoch, 29.6.22, 10.00 Uhr +++

    Hallo Leuts,

    +++ Fortsetzungs-TERMIN: AACHEN LANDGERICHT Mittwoch, 29.6.22, 10.00 Uhr +++

    +++ Bericht vom 24.6.22 +++

    vor Prozessbeginn am 24.6. waren eine Gruppe von Leuten (u auch gestern schon in Aachern, Fußgängerzone) mit Flyern zum Prozess u der Forderung nach Nulltarif u Aufhebung der Kriminalisierung von Schwarzfahrern zur Stelle -SUPI!!-

    Im Landgerichtsgebäude selber dann zwei-stufige Einlasskontrolle in einer Schärfe wie nicht mal beim Tschäpe-Prozess, lt Aussagen von Jörg Bergstedt u was erst auf seine Intervention hin aufgehoben wurde. Weiter der Versuch nur Prozess-Beobachter mit Ausweis zuzulassen, solche ohne hingegen auszuschliessen von der Anwesenheit wurde ebenso abgewendet… woraufhin der Richter prompt die Personendaten laut über den ganzen Gerichtssaal hinweg in den Bereich der Öffentlichkeit u zurück abzufragen zu können meinte… -unmöglich!!

    Der Prozess zog sich dann mehr als wir vermuteten u ist noch nicht vorbei!

    Das Verfahren gegen mich geht weiter am Mittwoch, den 29.6.22 um 10:00 Uhr, 1.Etage, Sitzungssaal A 1.018, Adalbertsteinweg 92, 52070 Aachen

    mit der gerichtlichen Bewertung der 51 Seiten abgegebener Beweisanträge -die ich eigentlich vorlesen wollte. Das hat der Richter nicht zugelassen, stattdessen unverlesen schriftlich verlangt u an alle Prozessparteien Kopien davon ausgehändigt……

    über Prozessbeobachtung (heute waren es fünf Menschen) würde ich mich freuen…

    +++

    siehe auch zb freielinke-aachen.de, ak-gewerkschafter.com od kraz-ac.de

    Thomas

  3. Dr. Paul Michels sagt:

    Hallo Manni,

    am Mittwoch, d. 29.6.22, hat Jörg Bergfeld (Giessen) im Berufungsverfahren vor dem Landgericht Aachen gegen die Sanktion ticketfreien Fahrens eines der besten Plädoyers gehalten, das ich seit langer Zeit gehört habe. Es war absolut schlüssig, sowohl sozialverantwortlich als auch rechtlich ausgewogen und ließ keinen anderen Schluß zu als den Freispruch des Thomas Ziegler. Trotzdem hat das Schöffengericht mit dem Richter, dessen Namen ich vergessen habe, die Berufung des Thomas abgewiesen. Der Richter war hochnotpeinlich bemüht, jeglichen Revisionsgrund zu vermeiden. Noch während des Verfahrens hat er dem Verteidiger einen Beschluß in Schriftform überreicht, daß er als Richter es dem Verteidiger untersagt habe, eine Frage an die Schöffen zu richten. Die Schöffen mußten das absegnen.

    Nach dieser Niederlage bleibt dem Berufungskläger noch die Revision.
    Aber wir haben uns im Flur auch über andere Schritte im Umfeld des Verfahrens unterhalten.
    >Perspektivisch könnte Thomas nach Karlsruhe gehen.
    >Wenn ich von seinen momentanen Äußerungen ausgehe, wird er wohl die Ersatzhaft wählen, falls er sich durch die nächsten Schritte von der Sanktion nicht befreien kann. Er hat wenig Geld.

    Wenn Du meinst, könnten wir auch mal für seinen Prozeß sammeln.

    Da ein Monatsticket inzwischen nur noch 9 Euro kostet, der Nulltarif im Nahverkehr immer wieder angeregt wurde und wird, 2.) eine „Erschleichung“ (Wortlaut des Gesetzes aus dem III. Reich) garantiert nicht vorgelegen hat, dürfte das Verfahren reiner Mißbrauch des Justizapparates (er behauptet, überlastet zu sein!) und eine Kriminalisierung völlig obsolet sein.

    Aber in Aachen geht ein solcher Unsinn nicht ohne Gegenwehr über die Bühne:
    Es waren 4 Besucher außer mir da. Und jeweils, am Freitag und am letzten Mittwoch war eindeutig auch Aachen dabei vertreten.
    Die Tafel 7000 im Gefängnis wegen Fahrens ohne Ticket, weg mit dem NAZIgesetz aus dem Jahre 1935! wurde am Eingang von Überwachungskräften einkassiert.
    Der Hinweis auf §5 GG wurde mit der Bemerkung, Holzstangen seien nicht erlaubt, ausgehebelt. Ein Brettchen aus Balsaholz stellt eine Gefahr dar? Wie lächerlich!
    Statt mit intransigenten Kontrolettis zu debattieren oder mich wegen einer deplazierten Vorschrift gegen ein Stück Balsaholz zum (ab heute= Mittwoch, d. 29.6.22 angeblich neuen! Name unbekannt) Landgerichtspräsidenten vorzuarbeiten, zog ich es vor, zum Gerichtssaal hochzugehen.
    Die Warteschlange am Eingang hatte eh´ schon 30´ Zeit gekostet.
    Immerhin tagte das Gericht öffentlich. Nur durfte die Öffentlichkeit keine Fragen stellen. Der Staatsanwalt zu einem Zuschauer: „Mit Ihnen rede ich nicht.“ Das klang nach Kasernenhof.

    Zu meinem Erstaunen hing ein Duplikat der Tafel „7000 im Gefängnis wegen Fahrens ohne Ticket, weg mit dem NAZIgesetz aus dem Jahre 1935!“ direkt gegenüber der Eingangstür des Saales A. 1002.
    (Dorthin hatten sie – offensichtlich ohne weitere Mitteilung an die Besucher – die Verhandlung aus Raum A.1018 verlegt.)

    Draußen an der Straße hab´ich die Tafel mit dem Balsabrettchen in einer Prozeßpause hingehangen. (War die Idee einer Zuschauerin.) Auf dem Bürgersteig vor dem Eingang des Gerichtes stand 2x ein Spruch gegen die Kriminalisierung des ticktfreien Fahrens- für alle Passanten sichtbar.

    Der Richter hieß Grahn.

    Die Schöff*innen hießen Günther Dammers und Carola Schiffer.

    Grüße,

    Paul Michels

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