Liebe Kolleginne und Kollegen,
soeben erreicht uns als Gewerkschafter/Innen-Arbeitskreis (AK) ein Beitrag des Kollegen Fred Maintz (http://www.ak-gewerkschafter.de/?s=fred%2Bmaintz). Fred verweist darin auf den gestrigen „Steuerzahlergedenktag“ und hängt einen kritischen Artikel aus der ZEIT vom 19. Juli 2017 in Bezug auf den BUND DER STEUERZAHLER daran an.
Wir haben den kompletten Beitrag des Kollegen Maintz nachstehend zu Eurer gefälligen Kenntnisnahme auf unsere Homepage gepostet.
Für den AK Manni Engelhardt -Koordinator-
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Fred Maintz informiert:
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
zum gestrigen „Steuerzahlergedenktag“ eine gute Analyse der „Zeit“:
dieser „Bund der Steuerzahler“ ist ein sich seriös verkaufender Propagandaverein, der die Steuerzahler der Mittelschicht von den hohen privaten Einkommen und Vermögen der Oberschicht sowie der massiven Ungleichverteilung ablenkt und brutal mit dem Rasenmäher die (sozial-) staatliche Infrastruktur zerschlagen will, habe ich Euch nachstehenden Artikel zur Kenntnisnahme angefügt.
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http://www.zeit.de/wirtschaft/2017-07/steuerzahler-gedenktag-deutschland-arbeit-abgaben/seite-2
Steuerzahler: Die Tea Party lässt grüßen
Jedes Jahr verkündet der Bund der Steuerzahler seinen Gedenktag. © erhui1979/Getty Images
Inhalt
- Seite 1 — Die Tea Party lässt grüßen
- Seite 2 — Steuern und Sozialbeiträge sind das Geld der Gesellschaft
Heute ist Steuerzahlergedenktag. Das behauptet zumindest der Bund der Steuerzahler. Bis zum heutigen Tag haben demnach die Deutschen im Durchschnitt gearbeitet, um ihre Steuern und Sozialabgaben zu zahlen. Die Botschaft, die der Steuerzahlerbund damit vermitteln will: Die Steuern und Abgaben sind viel zu hoch, der gierige Staat nimmt den rechtschaffenen Bürgern das hart erarbeitete Geld weg und verschwendet es.
Nur hat das mit der realen Situation in Deutschland wenig zu tun. Das Konzept des Steuerzahlergedenktags ist verkorkst und geht in weiten Teilen von falschen Annahmen aus. Kurz gesagt: Es handelt sich um Vulgärökonomie und libertären Populismus – die Tea Party lässt grüßen.
Um seinen Gedenktag zu ermitteln, berechnet der Bund der Steuerzahler eine sogenannte Einkommensbelastungsquote. Dazu werden die gesamten Steuern und Abgaben ins Verhältnis zum Volkseinkommen gesetzt – also die Summe aller Löhne, Gewinne und Vermögenseinkommen. Diese Belastungsquote liegt für das Jahr 2017 bei 54,6 Prozent – „die höchste Quote, die wir in der Bundesrepublik je gehabt haben“, sagt der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel. Auf das Jahr bezogen bedeutet das, der 19. Juli 2017 ist der Steuerzahlergedenktag.
Das Problem: Das Volkseinkommen ist die falsche Bezugsgröße. Denn bei der Berechnung dieser Größe sind die indirekten Steuern schon abgezogen – also die Mehrwertsteuer, die Verbrauchsteuern und die Grundsteuern. In den vergangenen Jahrzehnten wurden die Mehrwertsteuer und die Ökosteuern beträchtlich erhöht und im Gegenzug die Einkommensteuer und die Sozialbeiträge gesenkt. Auch wenn sich insoweit die gesamten Staatseinnahmen gar nicht erhöht haben, bedeutet das für die Berechnung des Steuerzahlerbundes: Das Volkseinkommen ist gesunken und die Belastungsquote somit gestiegen.
Der Steuerzahlerbund sollte stattdessen das Nettonationaleinkommen verwenden – da sind die indirekten Steuern noch nicht abgezogen. Dann läge die Belastungsquote für das laufende Jahr nur noch bei 48,3 Prozent und der Steuerzahlergedenktag wäre schon am 25. Juni gewesen.
Stefan Bach ist Steuerexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW in Berlin. Im Westend Verlag erschien sein Buch „Unsere Steuern. Wer zahlt? Wie viel? Wofür?“. © Westend Verlag
Zweiter dicker Rechenfehler: Sozialabgaben sind keine Steuern. Zu großen Teilen sind sie Versicherungsbeiträge, die private Vorsorge ersetzen. Den Beiträgen heute stehen Leistungen in der Zukunft gegenüber, denn wer beispielsweise mehr in die Rentenkasse einzahlt, bekommt im Alter eine höhere Rente. Allerdings wird in den Sozialkassen auch viel umverteilt, siehe Mütterrente oder Rente mit 65, und bei der Kranken- und Pflegekasse zahlt man auf sein Bruttoeinkommen, obwohl jeder die gleichen Leistungen bekommt.
Nimmt man deshalb vereinfachend an, dass die Sozialbeiträge nur zur einen Hälfte Steuern sind und zur anderen Hälfte Versicherungsbeiträge, dann liegt die gesamtwirtschaftliche Belastungsquote bezogen auf das Nettonationaleinkommen nur noch bei 38,9 Prozent – der Steuerzahlergedenktag wäre schon am 22. Mai gewesen.
Und es geht noch weiter: Der Staat zahlt auch Steuern an sich selbst – Mehrwertsteuer auf seine Einkäufe und Investitionen, Ökosteuer auf seinen Energieverbrauch, Kfz-Steuer für seine Fahrzeuge, Grundsteuer für seine Immobilien oder Unternehmen- und Einkommensteuern auf seine Kapitalerträge. Hier kommen schätzungsweise 50 Milliarden Euro im Jahr zusammen. Zieht man die vom Steueraufkommen ab, liegt die Steuerbelastungsquote nur noch bei 37,1 Prozent – der Steuerzahlergedenktag wäre schon am 15. Mai gewesen.
Trotz all dieser Unzulänglichkeiten kommt der Steuerzahlergedenktag gut an. Er appelliert an die diffusen Überlastungsgefühle. Dabei wird ignoriert, dass seit zwanzig Jahren nur noch die Reichen nennenswert reicher werden und zugleich steuerlich entlastet wurden, während die Mittelschichten nur noch mit mickrigen Einkommenszuwächsen vorliebnehmen mussten, die von steigenden indirekten Steuern und der Einkommensteuerprogression aufgezehrt wurden. Außerdem verfällt die öffentliche Infrastruktur und die staatlichen Leistungen sind schlechter geworden.
Steuern und Sozialbeiträge sind das Geld der Gesellschaft. Damit finanziert der Staat die öffentlichen Güter und Leistungen, die für das Funktionieren einer modernen Volkswirtschaft und den sozialen Ausgleich unabdingbar sind. Insoweit bekommen Bürger und Unternehmen das Geld wieder zurück.
Aber in der komplexen Staatswirtschaft gibt es viele Reibungsverluste. Sicher kann unser Staat besser wirtschaften. Das betrifft Umfang, Struktur und Organisation der staatlichen Leistungen, die föderalistischen Strukturen, Ordnungspolitik und Regulierung oder ungünstige Effizienz- und Verteilungswirkungen von Steuern und Abgaben. Hier entsteht tatsächlich eine Belastung im ökonomischen Sinne. Da muss man ran, wenn man die staatliche Verschwendung beklagt. Aber Strukturreformen sind ein mühseliges Geschäft, mit dem sich Politiker schnell unbeliebt machen. Außer Allgemeinplätzen hört man dazu nur selten konstruktive Vorschläge.
„Bisschen Schwund ist immer“, heißt es im Volksmund. Auch in der „freien Wirtschaft“ gehen viele Projekte, Investments oder Unternehmensübernahmen schief. Diese staatlichen Effizienzreserven zu messen ist methodisch schwierig – aber mehr als zehn Prozent der gesamtwirtschaftlichen Einkommen machen sie sicher nicht aus. Der wirkliche Steuerzahlergedenktag liegt also spätestens Anfang Februar. Das ist noch vor Karneval und Fasching. Helau und Alaaf!