Eine kommentarische Betrachtung von Manni Engelhardt: Der § 62 (Fn 74) LPVG/NW ist viel mehr als Makulatur!

Der § 62 (Fn 74) Landespersonalvertretungsgesetz von Nordrhein-Westfalen (LPVG/NW) ist viel mehr als Makulatur!

Eine Betrachtung von Manni Engelhardt

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

als Gewerkschafter/Innen-Arbeitskreis (AK) möchten wir heute wieder einen Kommentar-Beitrag zu der Kategorie LPVG/NW (http://www.ak-gewerkschafter.de/?s=lpvg) auf unsere Homepage posten.

Der AK-Koordinator hat diesen nachstehenden Kommentar zu § 62 LPVGNW verfasst.

Für den AK Manni Engelhardt –Koordinator-

Der § 62 (Fn 74) LPVG/NW lautet:

Dienststelle und Personalvertretung haben darüber zu wachen, dass alle Angehörigen der Dienststelle nach Recht und Billigkeit behandelt werden, insbesondere, dass jede Benachteiligung von Personen aus Gründen ihrer Rasse oder wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Abstammung oder sonstigen Herkunft, ihrer Nationalität, ihrer Religion oder Weltanschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters, ihrer politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität unterbleibt.

Dieser Paragraf hat einen hehren Anspruch an die Personalvertretung, bietet selbiger aber keine Mitbestimmung zur Durchsetzung als stärkste Form der Personalratsbeteiligung.

Vorab sei bemerkt, dass die Form und die Verfahrensfragen der Personalrats-Beteiligung in § 66 LPVG/NW geregelt sind.

Dort heißt es in Absatz 1, Satz 1.:

Soweit eine Maßnahme der Mitbestimmung des Personalrates unterliegt, kann sie nur mit seiner Zustimmung getroffen werden.

Das bedeutet im Falle des § 62 LPVG/NW, dass dieser von einer Verfahrensweise nach § 66 LPVG/NW ausgeschlossen ist.

Der allerdings nach wie vor bestehende hehre Anspruch des § 66 bleibt jedoch bestehen, leitet sich dieser doch von Artikel 3 des Grund Gesetzes (GG) der Bundesrepublik Deutschland ab.

Der Artikel 3 GG lautet:

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.

Zunächst erhebt sich die Frage danach, wie die Begriffe Recht und Billigkeit zu definieren sind.

+++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++

Nach Aristoteles (https://de.wikipedia.org/wiki/Aristoteles) definiert sich der Begriff Billigkeit wie folgt:

Aristoteles Nikomachische Ethik V. Gerechtigkeit

Vierzehntes Kapitel.
[Die Billigkeit]

Hier nächst ist von der Billigkeit (Epikie) und dem Billigen zu handeln und zu erklären, wie sich die Billigkeit zur Gerechtigkeit und das Billige zum Recht verhält. Denn bei näherer Betrachtung erscheinen beide weder als schlechthin einerlei, noch als der Gattung nach voneinander verschieden. Und einerseits loben wir das Billige und den billigen Mann in der Art, dass wir lobend diesen Ausdruck statt gut auch auf anderes übertragen und zu verstehen geben, (1137b) dass das Billigere das Bessere ist, anderseits erscheint es, wenn man sich an die Logik hält, als ungereimt, dass das Billige Lob verdienen und doch vom Recht verschieden sein soll. Denn entweder ist das Recht nicht trefflich und gut, oder das Billige, wenn vom Recht verschieden, nicht gerecht, oder wenn beide trefflich und gut sind, sind sie einerlei.

Das ist es so ziemlich, weshalb sich für den Begriff der Billigkeit Schwierigkeiten ergeben. Allein alles ist in gewisser Weise richtig, und von einem verborgenen Widerspruch, den es etwa einschlösse, kann keine Rede sein. Einerseits nämlich ist das Billige, mit einem gewissen Recht verglichen, ein besseres Recht, anderseits ist es nicht in dem Sinne besser als das Recht, als wäre es eine andere Gattung. Recht und Billigkeit sind also einerlei, und obschon beide trefflich und gut sind, so ist doch die Billigkeit das Bessere. Die Schwierigkeit rührt nur daher, dass das Billige zwar ein Recht ist, aber nicht im Sinne des gesetzlichen Rechts, sondern als eine Korrektur desselben. Das hat darin seinen Grund, dass jedes Gesetz allgemein ist und bei manchen Dingen richtige Bestimmungen durch ein allgemeines Gesetz sich nicht geben lassen. Wo nun eine allgemeine Bestimmung zu treffen ist, ohne dass sie ganz richtig sein kann, da berücksichtigt das Gesetz die Mehrheit der Fälle, ohne über das diesem Verfahren anhaftende Gebrechen im Unklaren zu sein. Nichtsdestoweniger ist dieses Verfahren richtig. Denn der Fehler liegt nicht an dem Gesetze noch an dem Gesetzgeber, sondern in der Natur der Sache. Denn im Gebiet des Handelns ist die ganze Materie von vornherein so (dass das gedachte Gebrechen nicht ausbleibt). Wenn demnach das Gesetz allgemein spricht, aber in concreto ein Fall eintritt, der in der allgemeinen Bestimmung nicht einbegriffen ist, so ist es, in Betracht, dass der Gesetzgeber diesen Fall außer Acht lässt und, allgemein sprechend, gefehlt hat, richtig gehandelt, das Versäumte zu verbessern, wie es auch der Gesetzgeber selbst, wenn er den Fall vor sich hätte, tun, und wenn er ihn gewusst hätte, es im Gesetze bestimmt haben würde. Daher ist das Billige ein Recht und besser als ein gewisses Recht, aber nicht besser als das Recht schlechthin, sondern als jenes Recht, das, weil es keinen Unterschied kennt, mangelhaft ist. Und das ist die Natur des Billigen: es ist eine Korrektur des Gesetzes, da wo dasselbe wegen seiner allgemeinen Fassung mangelhaft bleibt. Dies ist auch die Ursache davon, dass nicht alles gesetzlich geregelt ist; denn über manche Dinge lässt sich kein Gesetz geben, so dass es hier eines Plebiszites bedarf. Das Unbestimmte hat ja auch ein unbestimmtes Richtmaß, ähnlich wie bei der lesbischen Bauart ein bleiernes Richtmaß zur Verwendung kommt. Denn wie dieses Richtmaß sich der Gestalt des Steines angleicht und nicht dieselbe Länge behält, so gleicht das Plebiszit sich den besonderen faktischen Verhältnissen an.

So ist denn klar, was das Billige ist, und dass es ein Recht ist, und besser als ein gewisses Recht. Hieraus sieht man aber auch, wer der Billige sei: wer solches Recht will, wählt und übt, (1138a) und wer nicht das Recht zu Ungunsten anderer auf die Spitze treibt, sondern vom Rechte, ob es ihm gleich beisteht, nachzulassen weiß, der ist billig und sein Habitus die Billigkeit, die eine Art Gerechtigkeit und kein von ihr verschiedener Habitus ist.

Quelle: www.textlog.de

+++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++

Somit ist klar, dass das Billige ein Recht ist. Und das Billige besser ist als ein gewisses Recht. Und somit ist auch klar, dass Recht und Billigkeit einen normativen Level darstellen, auf dem die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Nichtbenachteiligung etc. der Beschäftigten in der Dienststelle verwirklicht werden müssen.

In der Praxis zeigt sich leider nicht selten, dass in den öffentlichen Dienststellen nach wie vor Diskriminierung und Ungleichbehandlung festzustellen sind.

Diskriminierungen von Schwerbehinderten, Frauen, Azubis, Kolleginnen und Kollegen ausländischer Nationalität etc. sind in den letzten Jahren oftmals auch öffentlich geworden.

Trotz der gesetzlichen Implementierung von Vertrauenspersonen der Schwerbehinderten Menschen, Gleichstellungsbeauftragten, Jugend- und Auszubildendenvertreter/Innen etc. im kollektiven Arbeitsrecht sind Diskriminierung und Ungleichbehandlung nicht ausgeschlossen worden.

Der Einfluss der Personalvertretung gegen Diskriminierung und Ungleichbehandlung kann am wirkungsvollsten im Bereich des Mitbestimmungsrechtes (§ 72 LPVG/NW) wahrgenommen werden. Der enumerative Mitbestimmungskatalog weist alle die mitbestimmenden Tatbestände aus, wo Personalräte auch gegen bewusste oder unbeabsichtigte Diskriminierung und Ungleichbehandlung eine „schärfere Klinge“ führen können.

Bei Vorkommnissen von Diskriminierung, Ungleichbehandlung, Ausgrenzung etc. in der Dienststelle, die nicht die Beteiligungsrechte der Personalvertretung unmittelbar berühren, ist der Personalrat dennoch daran gebunden, den § 62 LPVG/NW anzuwenden.

Die Möglichkeiten die der Personalrat außerhalb der Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte in solchen Fällen hat, sind vielfältiger Natur.

Er kann die Dienststellenleitung mit derartigen Vorgängen mündlich und explizite schriftlich kontaktieren und die Abstellung von Missständen fordern.

Er kann an die Beschäftigten appellieren, Diskriminierung, Ungleichbehandlung und Ausgrenzung etc. in der Dienststelle zu ächten und zu bekämpfen.

Er kann *), wenn entsprechende Reaktionen der Dienststellenleitung zur Abstellung von Missständen ausbleiben, die vorgesetzte Dienststelle und/oder externe Institutionen einschalten.

*) Nach diesseitiger Auffassung wäre es sogar Pflicht der Personalvertretung, diese Schritte zu tun, wenn ein ignorantes Verhalten der Dienststellenleitung festzustellen ist, um dem § 62 LPVG/NW zur Geltung verhelfen zu können.

Externe Institutionen, die in derartigen Fällen kontaktiert werden können, sind die Kommunal-, Landes- und Bundesbeauftragten z. B. für Gleichstellung, Schwerbehinderung, Ausländer, Datenschutz etc..

Der § 62 (Fn 74) ist ein „wichtiger Ableger“ des Artikels 3 GG für die Dienststellen im Geltungsbereich des Landespersonalvertretungsgesetzes von Nordrhein-Westfalen und darf – gerade in der heutigen Zeit – nicht zur Makulatur werden.

Besonders in unserer heutigen Zeit ist dieser Paragraf wichtiger denn je. Er muss allerdings durch die Personalräte in den Dienststellen im Bereich des LPVG/NW gelebt werden.

Zugegeben: Dafür bedarf es eines aufrechten Gangs!

Manni Engelhardt

Share
Dieser Beitrag wurde unter LPVG veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort zu Eine kommentarische Betrachtung von Manni Engelhardt: Der § 62 (Fn 74) LPVG/NW ist viel mehr als Makulatur!

  1. Ulrich Heß sagt:

    Lieber Kollege Manni,
    vielen Dank für den Beitrag. Auch ich weise oft auf die allgemeinen Aufgaben, die sich aus §§ 62 u. 64 ergeben hin. Die Billigkeitsanforderung in 62 und auch in 106 GO wird oft überlesen oder nicht verstanden. Was ich beitragen möchte: In manchen LPVG-Texten stehen Überschriften, so über § 62 „Gleichbehandlung“. Der offizielle Text des LPVG kennt keine Überschriften. Diese Überschrift verkürzt auch unzulässig den Inhalt des Gesetzes vor dem Wort „insbesondere“. Eine billige Behandlung kann nämlich auch bedeuten, dass jemand anders und nicht gleich behandelt wird, nämlich auf Grund einer besonderen persönlichen Situation oder Schwäche von einer Maßnahme zum Schutz ausgeschlossen wird.
    Billiges Ermessen bedeutet doch angemessen, zumutbar, die Interessen beider Partner berücksichtigend. Der Text vor dem Wort „insbesondere“ ist also viel weitreichender und fordert eine individuelle Betrachtung, zumal die Gleichbehandlung ohnehin durch das GG eingefordert wird.

    Ulrich Heß

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert