Liebe Kolleginnen und Kollegen,
unser Gewerkschafter/Innen-Arbeitskreis- (AK-) Mitglied, der Schriftsteller Dinarin Aleksandar Nikolic (http://ak-gewerkschafter.com/?s=dinarin+aleksandar+nikolic) hat sich für Euch eine neue Erzählung ausgedacht. Zum Wochenausklang hat sich Kollege Nikolic einmal eine Erzählung zum Nachdenken und gleichzeitig zum Entspannen ausgedacht. Diese Erzählung in zwei Teilen wollen wir dann auch heute und morgen zu Eurer gefälligen Kenntnisnahme und Entspannung, sozusagen als Wochenendlektüre, auf unsere Homepage posten.
Hier kommt nun der erste Teil der Erzählung unter dem Titel „Blumenmeer auf Zlatibor“.
Für den AK Manni Engelhardt –Koordinator-
„Blumenmeer auf Zlatibor“ – Erzählung in zwei Teilen von Dinarin Aleksandar Nikolic
1.Teil
Ich weiß und ich weiß nicht. Werde ich erinnert, weiß ich genau, werde ich nicht erinnert weiß ich mit Sicherheit nicht. Es kann jedoch geschehen, dass ich ab und an in die Abgeschiedenheit dieser Wohnung, die ich an diesem Ort bewohne, abtauche. Dann bin ich einsam und empfinde Faszination in der Einsamkeit und wenn ich mich an Begebenheiten der Vergangenheit erinnere, weiß ich genau. Es ist die Erinnerung an eine Erzählung aus der Vergangenheit.
Es ist Frühling, vor Jahrzehnten. Die sich sanft um den See auf Zlatibor wölbenden Hügel sind übersät mit den verschiedenartigsten Blumen, die in der Frühlingssonne in faszinierender mannigfacher Vielfalt an Farben schimmern.
Blumenmeer auf Zlatibor. Ein betörender Duft der Blüten liegt über den Hügeln. Zlatibor, was soviel bedeutet wie „golden schimmernde Fichte“, wird in weiten Teilen von einem golden schimmernden Fichtenwald bedeckt. Eine weitab der menschlichen Zivilisation gelegene, unberührte Natur, voller Wunder der Natur. Die Stille wird unterstrichen durch den Gesang der Zirpen. Sacht fällt die Landschaft in eine weiträumige Senke, die von einem Bach zerteilt wird, dessen Quelle unmittelbar unter der Kuppel, der den Blumenhügeln gegenüberliegen Erhebung, liegt. Kristallklares Wasser, das der Bach führt, reflektiert die Sonnenstrahlen. Der Verlauf des Baches mutet an, wie ein silbern glänzendes Band, das die Landschaft durchzieht. Unweit des Baches, in der Mitte der Senke, liegt ein Hof. Der Hof ist umzäunt und der Pilonenzaun hat zwei Tore, ein vorderes und ein seitliches. Das Haus ist einstöckig. Das gesamte Gebiet, das Hochland von Zlatibor ist menschenleer.
Es ist Nachmittag. Aus Richtung des Hofes geht eine junge Frau langsam, versonnen in Richtung des Blumenmeeres auf den Hügeln. Ihr langes, blondes, dichtes Haar umspielt ihr wunderschönes Gesicht und der leichte Frühlingswind weht eine Haarsträne in ihr Gesicht und jeder Beobachter wäre von ihrem Anblick verzaubert.
Es war Jana. Sie war bekleidet mit einer schlichten Bluse und einem weiten, schwingenden langen Rock, der nur ihre schlanken Fesseln sehen lies und sie war barfuss. Sie ging leicht, mit weichen, anmutigen Bewegungen die Anhöhe hinauf, auf das duftende Blumenmeer zu. Eine Aura von betörender Weiblichkeit umgab sie. Sie durchquerte das Blumenfeld und erreichte den Ort, an dem sie die Nachmittagsstunden der vergangenen Frühlingstage verbracht hatte. Es war der weiße Kreidefelsbrocken, der genau dort in der Sonne stand, wo sich das Blumenmeer bis hinter die ersten Baumreihen des goldenen Fichtenwaldes ergoss, der hier angrenzte. Sie setzte sich auf den Stein, der von der Natur wie gewollt so geformt war, dass eine Menschenhand die Bequemlichkeit die er bot, nicht hätte herstellen können.
Sie saß da, in der wärmenden Sonne, sah über dieses faszinierende Blumenmeer und die Stille lag, ebenso wie der Duftschleier der Blüten über der Hochebene. Nur der Gesang der Zirpen ließ sie wissen, dass das die Wirklichkeit ist, die Wahrheit ist und nicht ein Traum. Ein gottbegnadeter Teil der Welt, dachte sie und wie jedes Mal, wenn sie hier saß, erfasste sie eine tiefe Ruhe und die Erinnerung an das Vergangene erwachte.
Buenos Aires, sieben Jahre zuvor. Sie war sechzehn Jahre alt, doch ihre Schönheit war zur vollen Blüte ausgereift. Ihre Begabung zur Sängerin und Tänzerin bedurfte keiner langen Ausbildung, nach einer kurzen Weile der Übung zog sie jeden Zuschauer mit ihrem Gesang und Tanz in ihren Bann. Bei irgendeiner unbedeutenden Tanzveranstaltung, entging einem zufällig anwesenden Agenten ihre außergewöhnliche Begabung nicht.
Hier, in Buenos Aires, im prachtvollen palastartigen Hotel Simon Bolivar, das aus der Kolonialzeit stammte, hatte ihr Agent einen Auftritt in der riesigen luxuriösen, mit einer Bühne ausgestatteten Bar, arrangiert. Im Land des Tangos, im Land, das für die, die die wahre Liebe suchen, im Geheimen das verheißene Land war, sollte Jana der Welt gezeigt werden.
Ihren wahren Namen kannte niemand. Sie sprach niemals über ihre Herkunft. Sie war einfach da. An diesem Abend in Buenos Aires. Dieses Geheimnis, das sie umwehte, weckte Aufmerksamkeit. In glänzenden, verschiedenfarbigen Lettern standen auf den Plakaten, die ihren Auftritt ankündigten, nur fünf Worte: Amora Argentina im Simon Bolivar.
Die Neugier, die geheimnisvolle Amora Argentina zu sehen, trieb viele ins Simon Bolivar, doch am ersten Abend war der Raum nur zur Hälfte gefüllt.
Amora Argentina sang und tanzte, und wie lässt sich beschreiben was geschah? Gerade in diesem Land und gerade in Buenos Aires wurde klar, das Amora Argentina die wahre Liebe verkörperte. Sie löste eine Welle der Sehnsucht aus, die denen, die Sehnsucht empfanden, zeigte, dass sie noch lebten. Einer Welle der Glückseeligkeit wegen der Erkenntnis, dass es die wahre Liebe wirklich gibt, folgte eine Welle des tiefen Bedauerns und Leides wegen des Verrates an der Liebe. Die Gemüter kochten hoch. Die Presse reagierte sofort, schon am folgenden Morgen war zu lesen, das ein strahlender Stern, aus dem Nichts geboren, am dunklen Nachthimmel über Buenos Aires strahlte.
An den folgenden Abenden war das Simon Bolivar bis in die angrenzenden Nebenstraßen belagert von denen, die Einlass begehrten.
Von nun an rief die Welt nach Amora Argentina.
Ihre Abreise aus Buenos Aires hinterließ eine Leere in den Herzen derer, die sie gesehen haben, und das waren sehr, sehr viele. Ein Schatten verdunkelte für sie die strahlende Sonne Südamerikas über Buenos Aires.
Jana tauchte aus der Tiefe der Erinnerung auf. Sie sah hoch, sah die Sonne nahe am Horizont und der rötlich strahlende Himmel deutete an, dass der Nachmittag sich dem Abend neigt. Jana wusste nicht, wie lange sie auf dem weißen Stein gesessen hatte. Es war etwas kühler als zuvor und sie ging zu dem in der Senke, unweit des silbrig glänzenden Baches gelegenen Hof. Sie öffnete das seitliche Tor, ging in den Hof, schloss das Tor wieder, überquerte den Hof und betrat die im Erdgeschoß, im vorderen Teil des Hauses gelegene Küche.
In der offenen Feuerstelle hatte der alte Milutin Holzscheite aufgeschichtet und ein Feuer entfacht, das an diesen kühlen Abenden die Küche mit einer wohligen Wärme erfüllte. Draga, die ebenso alte Frau Milutins, stellte Jana wortlos das Abendessen und eine Karaffe Rotwein hin.
Die beiden Alten setzten sich in die Nähe der Feuerstelle. Milutin stopfte eine Pfeife, Draga häkelte.
Es wurde nicht gesprochen. Nur das Knistern des Feuers war zu hören. Jana saß da, dachte nichts mehr und gab sich der Verzauberung der Atmosphäre hin und spürte leise, ganz leise – Glück aufsteigen.
Jana erwachte. Gerade ging die Morgendämmerung über in die Morgenröte. Verschiedene Rottöne strahlten am Himmel und Jana sah durch das offene Fenster des Schlafzimmers im Obergeschoß des Hauses, zu den sanften Hügeln der Anhöhe. Sie lag auf einer Schlafunterlage die aus dickem, weißem Leinen gefertigt und mit Stroh gefüllt war. Die Baumwolldecke, mit der sie sich zudeckte, war mit einem weißen Leinenüberzug versehen. Der Duft des Strohs stieg hoch und vermittelte ein Gefühl der Geborgenheit in der unberührten Natur dieser Gegend.
Das Blumenmeer auf Zlatibor, wurde Jana berichtet, blüht nur für zehn bis zwölf Tage im Frühling um dann zu vergehen. Drei bis vier Tage später jedoch, bedecken dicht aneinander gedrängte weiße und blaue Narzissen, die fast gleichzeitig, geradezu über Nacht erblühen, die Fläche über die sich das Blumenmeer ergoss.
Ein Wunder der Natur.
Ein herrlicher Tag kündigte sich an. Ein strahlender, sonniger Morgen verdrängte die Morgenröte, und Jana erkannte durch das offene Schlafzimmerfenster auf den sanften Hügeln das blau-weiße Muster der Narzissen.
Jana stand auf, nahm ihre Kleidung und ging die geländerlose Außentreppe hinunter, ging in den im rückwärtigen Teil des Hauses gelegenen Raum, in dem eine uralte Badewanne stand. Der alte Milutin, der immer vor Sonnenaufgang aufstand, hatte für sie, wie jeden Morgen ein Bad bereitet.
Hier, wo sie war, tat Jana genau das, was sie tun wollte. Zu Beginn ihres Aufenthaltes bei Milutin und Draga hatten die beiden ihr, mit wenigen Worten sanft vermittelt, dass sie gerade das tun soll, denn quälende Verpflichtungen gibt es in der Wirklichkeit, die die Wahrheit ist, nicht.
Das Wasser für das Bad hatte Milutin dem Bach entnommen und Jana war immer wieder fasziniert, dass das Wasser in der Wanne schimmerte und funkelte wie ein riesiger Kristall. In der Vergangenheit war Jana nach einem Bad nie so erfrischt gewesen, wie nach einem Bad im Wasser von Zlatibor. Zwar konnte sie sich nicht ganz zugestehen, dass dieses Wohlgefühl durch das Bad in diesem Wasser verursacht wird, dennoch war es für sie ein kleines, heimliches Wunder. Sie hatte aus ihrer Vergangenheit Zweifel mitgebracht, aber die Zweifel wurden mit jedem Tag auf Zlatibor leiser, bis sie ganz verschwanden und die Wirklichkeit, die von der Wahrheit geschaffen wird, zur Gewissheit wurde.
Den sanften Frühnebel über der Anhöhe hatte die Sonne aufgelöst. Jana stieg erneut zu den Hügeln hinauf, durchwatete das blau-weiße Meer aus Narzissen und erreichte den weißen Kreidestein. Seit Tagen war sie nicht hier oben gewesen und diesmal setzte sie sich nicht auf den weißen Stein, sondern legte sich flach auf den Rücken, auf eine Unterlage aus weichem Moos und Narzissen. Sie winkelte ihre Beine an und genoss die wärmenden Sonnenstrahlen.
Sie dachte, es ist so. Sie tut hier was sie will und hier hat sie die wahre Freiheit erfahren.
Und erneut, wie so oft, drängte sich die Erinnerung auf. Diesmal eine schmerzliche Erinnerung an die Jahre des sogenannten Ruhmes. Sie wollte nichts anderes, nur singen und tanzen und um das tun zu dürfen, musste sie belastende Kompromisse eingehen, schmerzliche Versprechen erfüllen.
Sie verdrängte diese Erinnerung, die sie aufwühlte.
Sie gab sich der Ruhe der Natur hin, atmete den Duft der Narzissen und dann war es so, wie so oft, die Erinnerung ließ sie noch einmal die faszinierenden Ereignisse der Vergangenheit erleben. Und wenn sie sich erinnerte, dann nur an Faszination.
Dinarin Aleksandar Nikolic“
Fortsetzung folgt
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