Manni Engelhardt kommentiert wieder ein Bundesarbeitsgerichtsurteil

SCHWERBEHINDERTE ERLEIDEN NACH WIE VOR BENACHTEILIGUNGEN AUCH IM ERWERBSLEBEN

ENTSCHEIDUNG DES BUNDESARBEITSGERICHTS (BAG) VOM 21. FEBRUAR 2013 MIT DEM AKTENZEICHEN: 8 AZR 180/12   QUELLE: PRESSEMITTEILUNG DES BAG NUMMER 13/13

EIN KOMMENTAR DES GEWERKSCHAFTER/INNEN-ARBEITSKREIS- (AK) KOORDINATORS MANNI ENGELHARDT

Mit der o. g Entscheidung des BAG sollte sich möglichst jede Kollegin und jeder Kollege befassen; denn diese Entscheidung stellt unter Beweis, dass das Grundgesetz (GG) – hier: Artikel 3 Absatz 3 – in Bezug auf die untersagte Benachteiligung für Schwerbehinderte im Erwerbsleben häufig nur Makulatur ist.

Artikel 3 Abs. 3 GG:

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.

Konkretisiert wird dies im § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) „Ziel des Gesetzes“ der lautet:

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder sexuellen Identität  zu verhindern oder zu beseitigen.

Im vorliegenden Fall hatte eine schwerbehinderte Klägerin beim Arbeitsgericht auf Entschädigungsanspruch nach § 15 Absatz 2 AGG geklagt.

§ 15 Absatz 2 AGG lautet:

Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

Die weiteren Rechtsgrundlagen, die im Verfahren eine Rolle spielten sind die 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX und § 71 SGB IX zu denen der Klick auf den nachstehenden Link führt:

http://www.lexsoft.de/normensammlung/137493,73

Die Klägerin war seit 1996 als Büro- und Schreibkraft im Bundespräsidialamt tätig. Sie erkrankt längerfristig und deswegen wurde  im Rahmen des sogenannten „Eingliederungsmanagements“ im Dezember 2009 festgelegt, dass die Klägerin nach Möglichkeit die Beschäftigungsdienststelle wechseln sollte.

Diesbezüglich wandte sich das Bundespräsidialamt auch an den Deutschen Bundestag mit der Bitte, die Möglichkeit zu prüfen, ob es dort eine Einsatzmöglichkeit für die Klägerin gäbe.

Im Juni 2010 schrieb der Deutsche Bundestag die Stelle einer Zweitsekretärin/Zweitsekretären aus. Diese Stelle war für das Büro der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages vorgesehen. Die Klägerin bewarb sich auf diese ausgeschriebene Stelle. Sie verfügte nämlich über die entsprechende berufliche Ausbildung, die Voraussetzung für die Einnahme dieses Arbeitsplatzes ist. Da die Klägerin Schwerbehinderte im Sinne des Gesetzes ist, bewarb sie sich mit dem entsprechenden und ausdrücklichen Hinweis darauf.

Das Vorstellungsgespräch fand am 20.August 2010 statt. Seitens des Deutschen Bundestages nahmen 10 Personen, unter diesen befand sich auch die Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen, daran teil.

Ohne Begründung wurde der Klägerin am 01. September 2010 eine Absage erteilt.

Erst nach der Ankündigung durch die Klägerin, dass diese Schadensersatzansprüche geltend zu machen gedenkt, teilte ihr der Deutsche Bundestag am 10. Dezember 2010 (?) mit, dass die Ablehnung der Klägerin für diese Stelle in keinem Zusammenhang mit der Schwerbehinderung stünde. Der Grund sei, dass die Klägerin im Vorstellungsgespräch keinen überzeugenden Eindruck hinterlassen habe.

Die Klägerin beschritt den arbeitsgerichtlichen Weg und verlor die Verfahren in den Vorinstanzen, zuletzt beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LSG) mit Urteil vom 20. Dezember 2011 mit dem Aktenzeichen:  – 3 Sa 1505/11 -.

Die Klägerin kontaktierte daraufhin das BAG, allerdings wie bekannt, mit negativem Erfolg. Der 8. Senat des BAG schloss sich den Entscheidungen der Vorinstanzen an. Der 8. Senat des BAG attestierte, die Klägerin habe keine Indizien vorgetragen, die die Vermutung zuließen, ihre Bewerbung sei aufgrund ihrer Schwerbehinderung erfolglos geblieben.

Gleichwohl äußerste sich der 8. Senat des BAG in Richtung Beklagte dahingehend, dass diese die Gründe für die Ablehnung der Klägerin zunächst nicht dargelegt habe. Diese Bemerkung hat der 8. Senat des BAG sogleich dahingehend relativiert, dass die Beklagte nur dann, nämlich  nach § 81 Absatz 1 Satz 9 SGB IX dazu verpflichtet gewesen wäre, wenn sie der Pflicht zur Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen nach § 71 SGB IX nicht hinreichend nachgekommen wäre.

Genau das habe die Klägerin nicht dargelegt. Aber auch die weiteren, von der Klägerin angeführten Tatsachen, auf die er Pressesprecher des BAG in seiner Pressemitteilung Nr. 13/13 keiner Weise eingegangen ist, stellen aus Sicht des 8. Senates keine Indizien dafür dar, dass die Klägerin wegen ihrer Schwerbehinderung bei der Bewerbung nicht berücksichtigt worden ist.

Außerdem, so der 8. Senat des BAG laut Pressemitteilung, lässt auch der Ablauf des Vorstellungsgespräches diesen Schluss nicht zu.

Für mich steht fest, dass das BAG den Verlauf des Vorstellungsgespräches nur an Hand der Aussagen bzw. Schilderungen der 10 Personen, die dieses Vorstellungsgespräch für die Beklagte geführt haben, beurteilen kann; denn selbst unterstellt, die Schilderung der Klägerin stünde diametral, würde ihr weniger Glaubwürdigkeit beigemessen worden sein.

Desweiteren ist mehr als augenfällig, dass die Beklagte erst mit einer Begründung zur Ablehnung der Klägerin herausrückte, als diese ihre Absicht zur Schadenersatzanspruchsgeltendmachung bekanntgab. Der Berliner sagt dazu: „Nachtigall ick hör dir trapsen!

Die Klägerin hatte, und das wissen auch die Richter, im eigentlichen Sinne keine Chance, Indizien zu benennen, die als Gründe für eine anderslautende Entscheidung hätten maßgeblich sein können. Unterstellt, die sogenannte Pflichtquote auf ausreichend schwerbehinderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim Deutschen Bundestag sei erfüllt, darf kein Grund dafür sein, einer Bewerberin, die schwerbehindert ist und die notwendigen Anforderungen, die an eine entsprechende Planstelle zu stellen sind, besitzt, die Begründung zur Ablehnung juristisch abgesichert vorenthalten zu können.

Dies ist nicht nur im moralischen Sinne verwerflich, sondern darf auch meines Erachtens de jure nicht von Bestand sein.

Welcher Arbeitgeber offenbart schon die wahren Gründe, wenn er bei einem schwerbehinderten Menschen denkt, dass dieser –gelinde gesprochen- aus seiner Sichtweise ein „Leistungskrüppel“ ist, ihm die Einstellung versagt. Insoweit ist die Zuführung von schwerbehinderten Bewerberinnen und Bewerber durch die Anstalt für Arbeit bei ausgeschriebenen Stellen ein moralisches Feigenblatt; denn die Ablehnungen von schwerbehinderten Menschen nach Zuführung durch die Institutionen selbiger, sind häufiger, als viele von uns denken. Und die Begründungen hierzu, wenn sie überhaupt gegeben werden, sind vielfältiger Natur, treffen allerdings in den allerwenigsten Fällen den Kern der Sache.

Hier liegt das BAG (8. Senat) nach meiner Meinung genau im Trend der Zeit. Ob eine  Bundesverfassungsgerichtsbeschwerde hier etwas bringen bzw. der Sache abhelfen würde, wage ich nach den jüngsten Nichtannahmeentscheidungen der Vorsenate des Bundesverfassungsgerichtes sehr zu bezweifeln.

Die komplette Pressemitteilung des BAG könnt Ihr durch den Klick auf den nachstehenden Link in seiner Gänze aufrufen.

Gez. Manni Engelhardt –AK-Koordinator-

http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2013&nr=16490&pos=0&anz=13&titel=Schwerbehinderung_-_Benachteiligung_im_Bewerbungsverfahren

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