LANDESARBEITSGERICHT (LAG) HAMM ENTSCHEIDET FÜR ARTIKEL 5 ABSATZ 3 GRUNDGESETZ (GG). Urteil des LAG Hamm vom 15.07.2011 mit dem Az.: 13 Sa 436/11

Ein Kommentar unseres AK-Koordinators Manni Engelhardt:

Als Ultraläufer, der 1999 am härtesten Lauf der Welt mit großem Erfolg teilgenommen hat, nämlich dem „Marathon des Sables“, weiß ich, dass derjenige, der durch die Hölle will, den Teufel nicht fürchten darf!

War mir aber nie im Klaren darüber, dass derjenige, der die Hölle fürchtet,  das Büro nicht kennt.

Jedenfalls lautet der Titel eines Romans, den ein scheinbar frustrierter Bürobeschäftigter  geschrieben hat, so ähnlich und führte zu dessen Kündigung, die durch eine Kündigungsschutzklage, die der „Schriftsteller“ anstrebte, bei 2 Arbeitsgerichtsinstanzen allerdings zurückgewiesen wurde. Der 52 Jahre junge Kläger ist seit 1998 bei der beklagten Arbeitgeberin als Sachbearbeiter in der Abteilung Vertrieb/Verkauf beschäftigt, und ist Mitglied des bei der Beklagten bestehenden Betriebsrates.

Dieser Arbeitnehmer verfasste einen Büro-Roman unter dem Titel: „Wer die Hölle fürchtet, kennt das Büro nicht“.  Er schrieb den Roman aus der Perspektive des imaginären Ich-Erzählers „Jockel Beck“. Die nachstehenden Zitate aus dem Buch sind der Pressemitteilung des LAG Hamm entnommen.

Im Buch wird diesem „Jockel Beck“ der Kollege „Hannes“ unterstellt, der Rauschgiftkonsument ist („hat alles geraucht, was ihm vor die Tüte kam“). Über eine imaginäre Arbeitskollegin namens „Fatma“ heißt es im Buch,  sie „erfülle so manches Klischee, was man allgemein von Türken pflegt: ihre krasse Nutzung der deutschen Sprache und auch ihr aufschäumendes Temperament. Leider steht ihr Intellekt genau diametral zu ihrer Körbchengröße“. Der  imaginäre Junior-Chef „Horst“ wird im Buch folgendermaßen beschrieben: „Er ist ein Feigling! Er hat nicht die Eier, jemandem persönlich gegenüberzutreten, dafür schickt er seine Lakaien“.

Dieses Buch bot der Kläger auch im Betrieb der Beklagten Ende Oktober 2010 während der Arbeitszeit zum Kauf an. Am 10. November 2010 sprach die Beklagte mit Zustimmung des Betriebsrates dem Kläger die Kündigung aus.

Im Betrieb schien wohl ein hoher Identifikationsgrad zwischen den imaginären Romanfiguren und einigen Personen vor zu herrschen; denn die Kündigung wurde auf Äußerungen der Beleidigung,  der Ausländerfeindlichkeit und des Sexismus gegenüber Vorgesetzten und Kollegen gestützt. Das Buch weise deutliche Parallelitäten zum Unternehmen und den dort tätigen Personen aus.

Da wurden dann besonders die Romanfiguren „Hannes“, „Fatma“ und „Horst“  vorgeblich als  seiende Personen identifiziert. Außerdem wurde ins juristische Feld geführt, dass eine Mitarbeiterin sich aufgrund des Romaninhaltes in ärztliche Behandlung hätte begeben müssen.

Da muss nach meiner Meinung schon ein hohes Maß an persönlicher Identifikation der real im Betrieb handelnden Personen mit den Romanfiguren vorhanden gewesen sein. „Nachtigall icke hör Dir trapsen!“ ,sagt der, der Schelmisches dabei denkt!

Jedenfalls führte der Kläger in seiner Begründung zur Arbeitsgerichtsschutzklage aus, dass es sich bei dem Buch um einen fiktiven Roman handele, und er, der Kläger, keine Umstände aufgegriffen habe, die eine Identifikation mit real existierenden Personen zuließe. Er berief sich auf die durch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (GG) garantierte Kunstfreiheit.

Das Arbeitsgericht Herford gab ihm dann auch recht und gab der Kündigungsschutzklage statt (Urteil des ArbG Herford mit dem Az.: Ca 1394/10).
Die Beklagte ging daraufhin in die Berufung zum LAG Hamm, dass die Berufung der Arbeitgeberin aber zurückwies. Es schloss sich der Rechtsauffassung des ArbG Herford an und führte deutlich aus, dass der Kläger sich auf Artikel 5 Absatz 3 GG berufen könne. Somit bestehe dann die Vermutung, dass es sich bei einem Roman nicht um tatsächliche Gegebenheiten, sondern um eine fiktionale Darstellung handele. Etwas anderes könnte nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes nur dann geltend gemacht werden, wenn alle Eigenschaften einer Romanfigur dem tatsächlichen Vorbild entsprächen. Dies sei vorliegend nicht der Fall, zumal der Beklagte betont habe, dass die im Roman überspitzt gezeichneten Zustände die realen Verhältnisse im Betrieb nicht widerspiegeln würden.

Ich meine, da hat sich doch die Beklagte selbst noch einen Fallstrick zusätzlicher Natur gelegt!

Abschließend sei mir in Richtung LAG Hamm die Feststellung erlaubt, dass die Richter sehr wohl dem hohen Gut der Grundgesetzlich garantierten Rechte Rechnung getragen
haben.

Grundsätzlich bemerke ich hier jedoch auch, dass die besten Romane immer noch das Leben schreibt. Und da gibt es noch genügend Stoff für Bestseller!

(Quelle: Pressemitteilung des LAG Hamm vom 15.07.2011)

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