EIN KOMMENTAR UNSERES KOORDINATORS MANNI ENGELHARDT:
Und es gibt sie doch noch, die Entscheidungen pro Betriebsräte, wie sie das LAG Schleswig-Holstein unlängst in seinem Urteil vom 10.01.2012 festgelegt hat.
Hintergrund war, dass eine 41-jährige Klägerin, die bei dem beklagten Arbeitgeber als Reinigungskraft in dessen Badeanstalt angestellt war, 2009 eine Abmahnung wegen Verlassens des Geländes ohne vorhergehende Abmeldung erhalten hatte. Zwei weitere Ermahnungen folgten, wegen des Verlassen des Arbeitsplatzes ohne Abmeldung und wegen Privattelefonate während der Arbeitszeit, ohne diese Telefonate als „Privat-Gespräche“ deklariert zu haben. Die Klägerin, die arbeitsunfähig krank geschrieben wurde, war durch eine andere Person dabei beobachtet worden, wie sie einen Tauchring aus dem Fundsachenregal mitgenommen hatte. Über ihrem Arm trug sie Kleidungsstücke. Ihr Arbeitgeber, die Beklagte, hegte daraufhin den Verdacht des Diebstahls und gab der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Klägerinn gab an, Sachen aus ihrem Spind geholt und den verlorengegangenen Tauchring ihres Sohnes gesucht zu haben.
Im Rahmen des kollektiven Arbeitsrechtes schilderte der Arbeitgeber den bei ihm bestehenden Betriebsrat den Sachverhalt und hörte selbigen zu einer beabsichtigten Kündigung wegen des Verdachts des Diebstahls an. Die Anhörung muss nach § 102 Betriebsverfassungsgesetz Abs. 1 erfolgen.
§ 102 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz:
„Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrates ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.“
Die alleinige Anhörung ist aber erst dann rechtsnormiert erfüllt, wenn der Arbeitgeber alle Gründe dem Betriebsrat mitgeteilt hat, die zu der beabsichtigten Kündigung eines Arbeitnehmers führen. Im vorliegenden Fall erwähnte der Arbeitgeber dem Betriebsrat gegenüber die vorausgegangene Abmahnung und die erteilten Ermahnungen an die Klägerin, weshalb auch immer, nicht. Ebenfalls begründete er dem Betriebsrat gegenüber nicht, was ihn dazu gebracht hat, trotz der langjährigen Zugehörigkeit der Klägerin zum Unternehmen (Arbeitsverhältnis bestand von 1999 – 2009)zu kündigen.
§ 102 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz
„Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst ist, so muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreites bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Gericht ihn durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Satz 1 entbinden, wenn
- Die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder
- Die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren Belastung des Arbeitgebers führen würde oder
- Der Widerspruch des Betriebsrates offensichtlich unbegründet war.“
Trotz der berechtigten Bedenken des Betriebsrates kündigte der Beklagte die Klägerin sowohl fristlos als auch vorsorglich fristgerecht. Er hatte den Absatz 3 des § 102 Betriebsverfassungsgesetz offensichtlich vollkommen ignoriert.
Das Arbeitsgericht hatte der Kündigungsschutzklage, die die Betroffene unverzüglich eingelegt hatte, stattgegeben, mit der Begründung, dass die Kündigung unverhältnismäßig gewesen sei.
Das daraufhin angerufene LAG bestätigte dieses Urteil, allerdings mit einer erweiterten Begründung. Es erklärte die Kündigung bereits aus formellen Gründen für unwirksam, weil dem Betriebsrat bei dessen Anhörung zu wenig mitgeteilt worden sei.
Grundsätzlich, so das LAG, müsse der Arbeitgeber dem Betriebsrat mehr als nur die konkreten Fakten mitteilen, aus denen sich der Verdacht des Diebstahls ergebe. In der Anhörung des Betriebsrates müssen auch alle Informationen über Abmahnungen, Ermahnungen etc. durch den Arbeitgeber geschildert werden. Vor allen Dingen muss der Arbeitgeber umfassend darlegen, welche Gesichtspunkte er vor seinem Kündigungsentschluss wie gegenüber abgewogen habe.
Und diese Entscheidung des LAG ist nicht nur richtig, sondern auch Gold wert, in Zeiten, wo teilweise die „guten Sitten“ im Umgang der Arbeitgeber mit den bei ihnen bestehenden Betriebsräten zu verrohen drohen. Hier ist endlich einmal eine längst überfällige Entscheidung von verständigen Richtern getroffen worden, die präjudiziellen Charakter bekommen muss.
(Quelle: Pressemitteilung des LAG Schleswig-Holstein vom 21.02.2012)