Liebe Kolleginnen und Kollegen,
für den heutigen Sonntag hatten wir Euch ja eine weitere Erzählung unseres Gewerkschafter/innen-Arbeitskreis- (AK-) Mitgliedes, des Schriftstellers Dinarin Alexander Nikolic (http://www.ak-gewerkschafter.de/?s=dinarin+aleksandar+nikolic) angekündigt. Diese Erzählung unter dem Titel „Sommer 1994“. Es ist keine Geschichte nach einer wahren Begebenheit, sondern sie ist eine wahre Begebenheit. Heiter, trocken, und lebensphilosophisch ist ihr Inhalt und trotzdem unterhaltsam.
Für den AK Manni Engelhardt –Koordinator-
(Foto aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Universit%C3%A4tsklinikum_Aachen)
„Sommer 1994“ Eine Erzählung des Schriftstellers Dinarin Aleksandar Nikolic:
„Werte Leser/Innen, die nachfolgende Erzählung ist nicht geschrieben lediglich nach einer wahren Begebenheit, sondern ich erzähle diese wahre Begebenheit, wie sie sich wirklich ereignet hat.
Dinarin Aleksandar Nikolic
Wenn ich einsam und alleine bin, empfinde ich eine Faszination, die nicht in Worte zu kleiden ist. Ich weiß, dass die Allermeisten die Einsamkeit fürchten und falls sie eingeholt werden, fliehen sie und versuchen der Einsamkeit zu entkommen.
Bevor sich in jenem Jahr, an einem herrlichen Herbstmorgen, alles für mich veränderte, war ich in verschiedenen Zwängen geradezu gefangen. Ich hatte Familie und hatte für ein angemessenes Einkommen zu sorgen. Deshalb nahm ich einen Job an, den ich gar nicht mochte, der allerdings gut bezahlt wurde. Der Job war eine Qual, die häusliche Situation allerdings auch, und ein Zwang zog den anderen nach sich.
Um zu sagen wie es war, ich wusste weder ein noch aus.
Und gerade in dieser Situation, an einem Herbstabend, erklärte mir meine Gattin, dass sie einen eigenen Weg gehen werde. In dem Augenblick war es wirklich hart aber ich packte einen Koffer und verließ die Wohnung.
Ich erwachte am darauffolgenden Morgen, sah durch das Fenster einen blauen Himmel und einen strahlenden Sonnenschein und dachte – ein goldener Herbsttag. Alle Zwänge waren von mir abgefallen und ich fühlte leise Glück in mir aufsteigen. Ich war wieder frei, vollkommen frei und kann sagen – dieser Morgen war der glücklichste Morgen bislang.
Ich ließ mich im Job kündigen, fand eine gute Wohnung und genoss es einsam und alleine zu sein. Über Nacht hatte ich sämtliche Kontakte von zuvor abgebrochen und ging einen vollkommen anderen Weg und konnte endlich der sein, der ich bin.
Ich hatte mich tatsächlich über Nacht verändert. Für mich begann eine neue Epoche. Und gerade das konnten die Menschen, die mich aus der Epoche zuvor kannten, nicht verstehen. Sie verstanden nicht, dass ich nichts von dem, wofür ich zuvor eingestanden habe, wollte und schon gar nicht brauchte.
Insbesondere war ein Mensch, den ich damals schon viele Jahre kannte, sehr bemüht mich zu überzeugen, dass es so, wie ich handelte, nicht normal sei und schlug mir vor, ich solle ein Gespräch mit einem Psychiater suchen. Er meinte, ein stationärer Aufenthalt wäre nötig. Ich nenne ihn Wolfgang, um seinen Namen nicht zu verraten.
Wir trafen uns eigentlich nur noch selten und wenn, dann rein zufällig in der Stadt. Bei jedem der seltenen Treffen war er bemüht, mir zu erklären, meine Lebensweise sei nicht normal. Ich nahm das Gerede nicht ernst und scherte mich nicht drum.
In jenen Jahren folgte ein herrlicher Sommer einem vergangenen, ebenfalls herrlichen Sommer. Ich war absolut frei, zu tun und zu lassen, was ich wollte und war tatsächlich absolut unabhängig.
Ich empfand jeden Tag Faszination und freute mich, wenn ich zu Bett ging, auf den kommenden Morgen.
Damals bewohnte ich eine kleine Wohnung in irgendeiner Straße dieses Ortes in dem sonnengelben Haus. Ich war einsam und alleine, und gerade das bewirkte diese Faszination, die ich empfand. Nun, an einem Morgen ging ich ins Zentrum in der Absicht, in irgendeinem Straßencafé im herrlichen Sonnenschein zu sitzen und einen Kaffee zu trinken.
Auf dem Weg sah ich schon von fernem Wolfgang mir entgegenkommen. Ich rief: ´Hey Wolfgang´.
´Hallo Aleksandar´.
Ich wusste, Wolfgang fand vor allem das, was ich erzählte recht ungewöhnlich. Ich allerdings, nach wie vor, damals und auch heute, erzählte und erzähle immer die Wahrheit, scherze aber auch. Also war ich für Wolfgang, der mich Jahre kannte, äußerst ungewöhnlich.
Wolfgang fragte: ´Wo gehst Du hin? ´
´Ich gehe einen Kaffee trinken´.
´Ach, kann ich mitkommen? Ich lade Dich auch ein.´
´Wenn Du willst, gerne. Wo gehen wir hin? ´
Wolfgang überlegte eine kurze Weile und schlug dann vor: ´Ich weiß, Du unterhältst Dich gerne. Ich kenne da einen Arzt, einen Psychiater, der gerne philosophiert. Das wäre doch interessant, oder?´
´Wenn Du meinst.´
´Ja, dann fahren wir doch zum Klinikum.´
´Okay.´
´Warte, ich ziehe mal eben Geld am Automaten.´
Wolfgang beeilte sich zum nächsten Automaten zu kommen, zog 50 DM und sagte: ´Wir fahren mit dem Taxi.´
´Aber das ist doch zu teuer, nehmen wir doch den Bus.´
´Nein, Nein. Ich bezahle, wir fahren mit dem Taxi.´
Im Klinikum ging Wolfgang zu einer Schwester an der Leitstelle, flüsterte etwas mit ihr, und die Schwester führte uns in einen Raum. Ich sah mich um. Im Raum stand ein Schreibtisch, ein großer, bequemer Schreibtischstuhl für den Arzt, ein niedriger Patientenhocker und eine Liege.
Ich nahm Platz auf dem Psychiater Stuhl, Wolfgang setzte sich auf die Liege.
Nach einer kurzen Weile kam der Psychiater, sah mich an, sah Wolfgang an und setzte sich auf den Patientenhocker, der vor mir stand. Seine Schultern hingen herab, und er hatte einen etwas leidenden Gesichtsausdruck.
Ich wippte in diesem sehr bequemen Psychiater-Stuhl hin und her. Der Psychiater saß wie ein Häufchen Elend auf dem Patientenhocker. Ich begrüßte ihn: ´Guten Morgen Herr Doktor. Wie geht es Ihnen? Mir geht es sehr gut, ich finde es ist ein herrlicher Tag und ein wundervolles Wetter. Haben sie irgendwelche Probleme, Herr Doktor?´
´Ach, wie jeder Mensch habe auch ich Probleme.´
´Sehen Sie, so etwas habe ich mit Sicherheit nicht, aber ich werde Ihnen erklären, wo Ihre Probleme herkommen.´
Ich hielt eine Abhandlung, die der Psychiater zwischendurch immer wieder mit – so ist es, sie haben Recht – bestätigte. Sein Gesichtsausdruck hatte sich sehr entspannt, er wirkte geradezu fröhlich.
Ich beendete die Sitzung, der Psychiater bedankte sich mehrmals für meine aufklärenden Worte, wünschte einen guten Tag und ich verließ den Raum, um mit dem Bus zurück ins Centrum zu fahren.
Wolfgang war sitzengeblieben.
Am nächsten Morgen, ich war wieder auf dem Weg zum Café, kam mir Wolfgang unerwarteter Weise entgegen.
´Hey Wolfgang.´
´Hey Aleksandar.´
´Was war denn gestern, wo warst Du geblieben?´
´Ja, ich hatte noch ein langes Gespräch mit dem Arzt. Er hatte mir erklärt, dass er Dich auf keinen Fall da behalten konnte, mit Dir wäre alles in Ordnung, Du wärst absolut gesund. Ich habe ihn absolut nicht überzeugen können´.
´Aber wozu denn das, Wolfgang.? So ein Unsinn.´
´Und dann hat er mir angeboten, mich für eine Zeit auf der geschlossenen Station unter zu bringen, weil ich dort beschützt wäre und zur Ruhe kommen könne. Ich konnte nur mit Mühe und Not einer Unterbringung entgehen´, sagte Wolfgang etwas entsetzt.
´Ach so, ok, bis dann,´ sagte ich
´Bis dann,´ sagte Wolfgang.
Werte Leser/Innen, ob sie es glauben oder nicht, es geschah genauso, wie ich es nachfolgend beschreibe.
Zwei Wochen später, an einem herrlichen Morgen, ging ich ins Zentrum, um in einem Straßencafé einen Kaffee zu trinken. Auf dem Weg sah ich schon von weitem Wolfgang mir entgegenkommen.
Ich rief: ´Hey Wolfgang.´
´Hallo Aleksandar´, antwortete er, ´wo gehst Du hin?´
´Ich gehe einen Kaffee trinken.´
´Ach, kann ich mitkommen? Ich lade Dich auch ein.´
´Wenn Du willst, gerne. Wo gehen wir denn hin?´
´Ich sitze gerne in dem Café auf der Empore im Klinikum. Sollen wir dahin fahren?´
´Gerne Wolfgang.´
´Warte, ich ziehe mal eben Geld am Automaten.´
Wolfgang beeilte sich zum nächsten Automaten zu kommen, zog 50 DM und sagte: ´Wir fahren mit dem Taxi.´
´Aber das ist doch viel zu teuer, nehmen wir doch den Bus.´
´Nein, nein ich bezahle, wir fahren mit dem Taxi.´
Im Klinikum, an der Leitstelle, fragte Wolfgang: ´Hast Du Deine Krankenkassenkarte dabei?´
Ich scherzte und sagte: ´Nein.´
´Ja, aber Du musst doch eine haben.´
´Nein, ich habe keine.´
´Was machen wir denn jetzt?´
´Hast Du Deine dabei?´, fragte ich.
´Ja.´
´Dann gib doch Deine ab und wir tun so als ob ich es wäre´, schlug ich vor.
´Aber das geht doch nicht. ´ Er überlegte kurz: ´Naja. Okay.´
Die Schwester führte uns in den gleichen Raum, wie vierzehn Tage zuvor und ich nahm Platz auf dem Psychiater-Stuhl, wie zuvor.
Der Psychiater kam rein, sah mich und sagte: ´Guten Morgen Herr Müller. ´
´Ich bin Herr Müller´, rief Wolfgang aus dem Hintergrund, auf der Liege hockend, ´Aber ich hätte sie gerne alleine gesprochen. ´
´Ja, das geht.´
´Wer sind Sie?´ fragte er mich.
´Mein Name ist Nikolić.´
´Herr Nikolić, würden Sie uns alleine lassen? ´
´Ja gerne,´ antwortete ich, verließ den Raum und setzte mich auf den Stuhl vor der Tür. Nach einer halben Stunde Warten ging ich in den angrenzenden Raum, zog aus dem Automaten der dort stand ein Getränk und setzte mich erneut auf den Stuhl vor dem besagten Raum. Eine weitere viertel Stunde später dachte ich – Es kann nicht anders sein, während ich das Getränk holte, muss Wolfgang hinausgegangen sein – also ging ich auch.
Am nächsten Morgen kam mir Wolfgang entgegen.
´Hallo Wolfgang, was war los gestern? ´
´Ach, das war ein Ding, kann ich Dir sagen. Ich habe eine Stunde schwer gekämpft, um raus zu kommen. Der Psychiater wollte mich unbedingt für sechs Wochen auf der geschlossenen Station unterbringen. Er war nicht zu überzeugen, dass mit mir alles in Ordnung ist und dass es um dich geht. Zum Schluss hat er mich nur gehen lassen, weil ich versprochen habe, wenn es schlimmer wird, freiwillig zu kommen.´
´Mach Dir nichts daraus, bis dann.´ Sagte ich und ging.
Unsere folgenden Begegnungen waren dann reduziert auf einen unverfänglichen Small Talk. Wolfgang hat es gerade noch geschafft, sich einen weiteren Versuch zu verbieten. Bei einem dritten Versuch wäre er mit Sicherheit für eine Weile weggesperrt worden.
Nur nebenbei; auf dieses Geschehnis passen zwei Sprüche: – Wer Anderen eine Grube gräbt, fällt hinein. – Wer nicht hören will, muss fühlen.
So Long Euer DINARIN ALEKSANDAR NIKOLIC“